Regine Nahrwold am 4. August 2007
Film: Ingmar Bergmann
Gestern abend auf ARTE ein großartiges Portrait Ingmar Bergmanns gesehen, ein Gespräch mit dem finnischen Filmemacher Jörn Dorner, völlig unspektakulär und sehr aufrichtig. Hier einiges davon in meinen Worten wiedergegeben:
Ihn habe eigentlich sein Leben lang nur eine Frage beschäftigt:
„Wer bin ich? Woher komme ich? Warum bin ich der, der ich bin?“
„Und, weißt Du es?“
„Nein. Eigentlich kann ich nur sagen, ich weiß immer weniger, wer ich bin.“
Seine Kindheit sei ihm ganz nahe, eine nie versiegende Quelle seiner Inspiration. Seine Eltern seien keine schlechten Menschen gewesen, hätten – mit den besten Absichten – lediglich die falsche Erziehung praktiziert. Es habe aber auch viel Freude, Fröhlichkeit in seinem Elternhaus gegeben, Musik und Theater, sie hätten es gut gehabt. Sein manisch-depressiver Vater habe, wenn er eine gute Phase hatte, vor Frohheit förmlich geleuchet. Er selbst sei ein notorischer Lügner gewesen, habe sich eine Identität zugelegt, die die Eltern akzeptierten (anders als bei seinem rebellierenden Bruder), das sei sein Schutz gewesen.
Die Anklage wegen Steuerhinterziehung habe ihn krank gemacht (offenbar eine Art Depression), so dass er mehrere Wochen in der Psychiatrie verbrachte. Die Medikamente hätten seine Persönlichkeit verändert. Irgendwann wurde er wütend und beschloss, Schweden zu verlassen. Dieser Umschlag von der Depression in die Wut habe ihn wieder gesund werden lassen.
Er habe sich nie ein Heim schaffen können, habe immer versucht, in seinen Ehen eine Art Heim zu finden. Geschrieben habe er immer auf Farö, dem einzigen Ort auf der Welt, wo er sich zu Hause gefühlt habe. Die eigentlich schöne Arbeit, die immer Freude gemacht habe, das seien die Arbeitsbücher gewesen, die den Drehbüchern vorangingen, das eigentlich Kreative. Im Gegensatz dazu bedeute das Schreiben des eigentlichen Drehbuchs Ordnung, Routine, sei todlangweilig, eine „Pflichtübung“. (Er benutzte tatsächlich das deutsche Wort!)
Er schreibe mit einem bestimmten Kugelschreiber auf immer den gleichen gelben Block, so wisse er immer, wieviel er geschrieben habe. Der physische Akt des Schreibens sei reine Freude, er brauche ihn und habe nie mit irgendeiner Maschine geschrieben. Als er erfahren habe, dass die Produktion „seines“ Blockes eingestellt werden solle, habe er nochmal 800 bestellt. Ein paar habe er noch, die würden hoffentlich reichen bis zu seinem Tode. (Hoffentlich hat das auch hingehauen!)
Disziplin sei immens wichtig, ohne die könne ein Filme- und Theatermacher überhaupt nicht auskommen. Für ihn sei es ein immerwährender Kampf gewesen, in dessen Verlauf er immer pedantischer geworden sei. Er lebe nach strengen Ritualen, einer Ordnung, die ihn zusammenhalte wie ein Korsett, sonst würde es ihn von innen in Stücke zerreißen.
Als er über Ingrid, seine letzte Frau spricht, ist ihm die Trauer über ihren Tod noch immer anzusehen, der für ihn eine ganz große Katastrophe war. „Wir waren 24 Jahre zusammen, waren sehr vertraut miteinander. Wir hatten eine gute Kameradschaft.“ Er habe in seiner Trauer gelebt wie in einem Zimmer. Irgendwann habe er sich dann vorgenommen, wieder zu schreiben, jeden Tag fünf Seiten, ganz egal, was. Und irgendwann seien acht, zehn Seiten daraus geworden. Er habe wieder begonnen, für das Theater zu arbeiten, und wenn jeden Tag Menschen etwas von einem erwarten, dann müsse man ja was tun. So habe er allmählich wieder „Tritt gefasst“ im Leben.
Er telefoniere gern mit seinen Freunden, aber er brauche und liebe das Alleinsein, besonders auf seiner Insel Farö, deren Natur er liebt. Er habe das Gefühl, dass seine Frau bei ihm ist, und er spricht mit ihr. „Ob das eine Tatsache ist oder eine Projektion von innen, ist ganz gleichgültig.“
Bei einer Operation wurde ein Anästhesiefehler begangen, und er war 8 Stunden „weg“. Diese 8 Stunden haben für ihn gar nicht existiert, seien vollkommen gelöscht aus seinem Leben. So werde der Tod wohl auch sein: man hört einfach auf zu existieren. Es falle ihm aber schwer, den Wunsch, seine Frau wiederzusehen, aufzugeben. Mit diesem Widerspruch sei er noch nicht fertig, daran arbeite er noch. Schlafen sei gut, er nehme jeden Abend eine Schlaftablette, dann könne er sechs Stunden schlafen. Zitiert Shakespeare, der Schlaf sei der Tod am Ende eines glücklichen Tages (so ähnlich).
„Was andere Menschen von mir denken interessiert mich nicht, überhaupt nicht. Ich möchte, dass es den Menschen, mit denen ich zusammenarbeite, Freude macht und dass etwas dabei heraus kommt, das berührt und lebendig ist. Ja, lebendig muss es sein, das ist das Allerwichtigste. Gott allein kennt meine Angst davor, etwas zu machen, was mausetot ist, das ist meine größte Angst.“
Künstlerische Begabung, das sei ein komischer Ausdruck. Er sei ein Handwerker, ein guter Handwerker, aber eben ein Handwerker. Er freue sich, wenn ihm etwas gelinge, das Menschen benutzen könnten wie einen Tisch oder einen Stuhl.
Letztes Bild des Films: Bergmann am Strand von Farö, an einem grauen, offenbar kühlen Tag. Er geht auf das rauschende Meer zu, eine immer kleiner werdende Rückenfigur. Ein Mönch am Meer.