Regine Nahrwold am 16. August 2007
Kunst: Komplexität & Klarheit…
… oder „Was bleibt – Was verändert sich“ – Die besten Beispiele dafür hält ja mal wieder die Natur bereit: jeder Mensch ist nach dem Modell „Strichmännchen“ gebaut, jedes menschliche Gesicht nach dem Schema „Punkt, Punkt, Komma, Strich – fertig ist das Mondgesicht“, aber dann die unendliche Vielfalt an Varianten dazu – der reine Wahnsinn! Ein hervorragendes Mittel, um in der Kunst etwas annähernd Vergleichbares hervorzubringen, ist die Serie. Jedenfalls stelle immer wieder fest, dass mir das Betrachten von Serien großes Vergnügen bereitet, besonders von Fotografien. Seien es die Berufsbilder von August Sander oder Richard Avedon, seien es die Wassertürme von Bernd und Hilla Becher oder Portraits junger Mädchen von Hellen van Meene und die Landschaften von Darren Almond, die ich letztes Jahr im Essener Museum Folkwang sah, seien es ‚Okhai Ojeikeres Fotos afrikanischer Frauen und Mädchen mit ihren kunstvollen Frisuren und Kopfputzen auf der Documenta oder Herlinde Kölbls Aufnahmen der Arbeitszimmer berühmter Schriftsteller: immer fasziniert mich die Lebendigkeit, die sich innerhalb eines festen Rahmens von genau definierten Parametern entfaltet und gleichzeitig von diesem „in Schach gehalten“ wird. Auch die „Siegesgärten“, Ines Doujaks Arbeit zum Thema Biopiraterie auf der documenta, hat mir sehr gut gefallen. Viele Menschen fühlten sich, schien’s, von dem bunten Kastenbeet angezogen und studierten die informativen Texte auf der Serie der „Samen“-Tütchen! Dieser Arbeit ist es wirklich gelungen, einen komplexen politischen Inhalt klar rüber zu bringen und in einer attraktiven, der Sache angemessenen Form zu veranschaulichen!
In der Hannoveraner Ausstellung „Made in Germany“ fand ich die Arbeit „Women to Go“ von Mathilde ter Heijne besonders schön: Schon von draußen sah man die Ständer mit den Schwarzweiß-Postkarten, Portraits namenloser Frauen unterschiedlichster Ethnien, um 1900 aufgenommen; auf der Rückseite der Karte die Biographie einer historisch bedeutenden Frau. Man durfte von diesen Karten mitnehmen, so viel man wollte. Manchmal schaue ich mir meine Karten an, all diese Gesichter… Sie erscheinen mir plötzlich so seltsam nah, und ich frage mich: Wie haben sie wohl gelebt und was haben sie alles erlebt, jene Frauen in den hochgeschlossenen, über dem Korsett eng anliegenden Kleidern, mit den straffen Haarknoten? Die Indianerin im bestickten Lederkleid, die Inuitfrau mit der Pelzmütze, die Afrikanerin in der Nonnentracht? Was würden sie wohl sagen, könnten sie vor dem Kartenständer stehen oder ihr Foto auf meinem Schreibtisch liegen sehen?