Regine Nahrwold am 28. August 2007
Ausstellung: Die schönsten Franzosen kommen aus New York – Wirklich?
Die Metropolitan-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin ist eine große Sensation, keine Frage: die Landschaften von Corot und Daubigny, das fein nunancierte blauweiße Winterbild von Monet, die trübgrau regnerischen Straßen und Plätze von Pissarro, Manets „Toter Christus“ von 1864 lässt sich mit der zehn Jahre später entstandenen „Bootsfahrt“ vergleichen, die farbig gebauten Äpfel von Cézanne, die durchglühten Südseebilder Gauguins und die lodernden Zypressen van Goghs, die koloristischen Innenräume von Bonnard, Vuillard und schließlich Matisse, die Plastiken Rodins, dessen monumentale „Bürger von Calais“ das Neonlicht in der riesigen Eingangshalle mit gleißendem Licht übergießt – ich bin froh, das alles gesehen zu haben.
Und dann die kleinen Juwelen dazwischen: bis dahin nie gesehene Degas‘, neben Millet einer der dunklen, erdschweren Kartoffelesser van Goghs, von Manet eine Farbskizze nach Delacroix‘ Dantebarke, ein zauberhaftes Frauenbildnis von Berthe Morisot…
Soweit die Exponate. Und die Ausstellungskonzeption? Oder vielleicht besser gefragt: Das Marketingkonzept? Problematisch finde ich den Versuch, mit diesem Bestand die französische Malerei der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts, den Beginn der Moderne zu veranschaulichen. Denn es gibt natürlich Lücken, die zu Verzerrungen führen, obwohl Computershow und Audioguide sie zu schließen versuchen. Eine davon ist, dass keines der Bilder des modernen Lebens, des Zeitalters der Industrialisierung, vertreten ist, die die Impressionisten ja auch gemalt haben, etwa Monets Bahnhof von St. Lazare oder Manets „Eisenbahn“ (sie befinden sich ja nicht im MET). So entsteht das Bild einer heiteren, sorglosen Kunstrichtung, die den Blick auf den „Ewigkeitswert“ von landschaftlicher „Schönheit“ lenkt – so nennt es die bombastische Computershow. Sie erstreckt sich über die ganze Höhe und Breite des langen Vorraums und lässt dort in suggestiver Weise vergrößerte, vom Beamerstrahl durchleuchtete Bildausschnitte nebeneinander schweben, dazu erklingt zeitgenössische Musik. (Als es vorbei war, musste ich mir erstmal kräftig die Augen reiben, um die Originale wieder würdigen zu können. So ähnlich wie ich im Kino erstmal die Wirkung des optischen „Dauerbeschusses“ von Werbung/Vorschau abschütteln muss, um aufnahmefähig für den Hauptfilm zu werden. )
Eine weitere Verzerrung entsteht m.E. durch drei lasziv-erotische Salonbilder, die an prominenter Stelle hängen, darunter die „Geburt der Venus“ von Cabanel, das auch eines der Plakate schmückt („sex sells“). Um zu demonstrieren, dass die Impressionisten von dort einen Ausgangspunkt genommen haben, von dem sie sich unterscheiden und abstoßen, dass auch die Entlarvung der bürgerlichen (Doppel)Moral ein wesentliches Moment der Moderne ist, hätte es schon der „Olympia von Manet“ als Gegenbild bedurft; denn – das war ja ihr Skandalon – sie verkleidet sich nicht mehr als allegorische oder mythologische Gestalt, sondern zeigt sich unverblümt als das, was sie ist: eine Kurtisane, die einen Blumenstrauß als Huldigung eines Liebhabers entgegennimmt. Courbets „Frau mit Papagei“ übernimmt die Funktion eines solchen Gegenbildes kaum; auch seine Badende, obwohl mit rundem Bauch und stämmigen Oberschenkeln nicht gerade eine „Model“-Figur, leistet dies nur unvollkommen. Und so entsteht der Eindruck einer Kontinuität, die verschleiert, dass die Moderne mit der Tradition und ihrem Schönheitsbegriff energisch gebrochen hat, dieses Wissen wird nicht vermittelt. Die Ausstellung setzt auf das Erlebnis und den Kunstgenuss des Betrachters und suggeriert ihm dies auch – eine zwangsläufige Begleiterscheinung der Kommerzialisierung von Kultur? Ist das – nach der Postmoderne – nun die Re-Aktion, die die Moderne ignoriert, gar zum Verschwinden bringen will?