Regine Nahrwold am 13. September 2007
Musik: Claudio Abbado
Was ist Qualität in der Kunst? Der beste Beweis dafür, dass sie als Ganzes mehr ist als die Summe ihrer Teile, ist doch die Musik. Immer wieder denke ich zurück an Die Stille hören, eine Sendung über Claudio Abbado, die am 18. August abends auf ARTE zu sehen war. Gespräche mit ihm, mit seinen Musikern und Freunden wie Bruno Ganz, Aufnahmen von Orchesterproben und Konzerten ließen ein Bild der künstlerischen Leistung und Persönlichkeit Abbados entstehen. Nach seinem Rücktritt als Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und nach einer schweren Krebsoperation hat seine musikalische Arbeit noch einmal an Tiefe gewonnen.
Wie soll man diese mit Worten beschreiben? Das ist natürlich unmöglich, man muss sie hören, die Klänge, die Abbado mit seinen Handbewegungen plastisch zu formen scheint. Sehen kann man es bisweilen auch: an der konzentrierten Hingabe der Musiker, daran, wie sie auf seine Impulse reagieren, an seiner Mimik, in der sich die vielfältigsten Empfindungen widerspiegeln. Das energetische Hin- und Herströmen zwischen Dirigent und Orchester, aus dem das Fließen der Musik entsteht, in dem jeder gebend und nehmend zugleich ist, trägt und getragen wird, ist ein unglaubliches Phänomen…
Abbados Antwort auf die Frage „Welches Publikum ist Ihnen das liebste?“ lautet: „Das, das am längsten still sein kann“, besonders nach langsamen Sätzen und Stücken, die den Tod thematisieren. Nachdem die letzten Takte des Brahms-Requiems, einer Aufführung in der Berliner Singakademie, verklungen waren, verharrte das Publikum sehr lange in solcher erfüllten Stille. Abbado lehrt auch die Musiker das Zuhören, einer von ihnen berichtete: Er beschreibt nicht, wie wir spielen sollen, sondern sagt z.B.: Hören Sie hier auf die ersten Geigen, dort auf die Klarinetten! Die Philharmoniker hätten sich unter seiner Führung sehr verändert, seien flexibler, im Klang transparenter, im Repertoire moderner geworden.
Abbado hat seinen Abschied in Berlin nicht genommen, um sich auszuruhen, sondern um in Luzern ein neues Orchester zu gründen. Es besteht aus hoch begabten, „handverlesenen“ Musikern, die zu ihm in einer persönlichen Beziehung stehen, und jung sind in dem Sinne von: neu-gierig und fernab jener Routine, in der Orchestermusiker so schnell erstarren können. Mit diesem Orchester erarbeitet er jedes Jahr eine Mahlersymphonie. Er ist todkrank und beginnt etwas Neues! Alle Freunde und Musiker, die in der Sendung zu Wort kamen, sagten – jeder mit anderen Worten, aber übereinstimmend – dass er kein bisschen müde sei, sondern inspiriert, als hätte sich ihm ein neuer geistiger Raum aufgeschlossen. Alle sagten aus, er sei völlig uneitel, es gehe ihm ganz allein um die Musik.
In meinem Fortbildungskurs „Qualitätsmanagement für Kultureinrichtungen“ erzählte jemand, eine große Unternehmensberatung habe einmal einem Orchester geraten, doch die zweiten Klarinetten einzusparen, die hätten doch eh nur so wenig Töne zu spielen. Und wenn’s nicht stimmt, so ist die Geschichte doch genau so gut wie die Anekdote, dass Kaiser Franz Joseph, nach der Uraufführung von „Figaros Hochzeit“ nach seinem Urteil befragt, geantwortet haben soll: „Zu viele Noten, lieber Mozart, zu viele Noten!“ Dieser darauf: „Genau so viel wie nötig, Majestät!“