Regine Nahrwold am 24. Oktober 2007
Ausstellung: Die erfüllte Leere. Japan und der Westen
„Dreißig Speichen treffen die Nabe. Die Leere dazwischen macht das Rad. Lehm formt der Töpfer zu Gefäßen. Die Leere darinnen macht das Gefäß. Fenster und Türen bricht man in Mauern. Die Leere darinnen macht die Behausung. Das Sichtbare bildet die Form eines Werkes. Das Nicht-Sichtbare macht seinen Wert aus.“ Dieser Ausspruch von Laotse (ca. 6. Jhdt. v. Chr.)…
… ist zu lesen in der Ausstellung „Japan und der Westen. Die erfüllte Leere“ im Kunstmuseum Wolfsburg. Viele, unterschiedlich große „white cubes“ füllen die große Halle des Museums, die meisten enthalten nur zwei Kunstwerke. Sie stehen in einem dialektischen Spannungsverhältnis zueinander und treten – über eine große zeitliche, geographische, kulturelle Distanz hinweg – miteinander in einen Dialog. Die Reduktion auf das Wesentliche, das Weniger, das nicht Verlust ist, sondern Gewinn an Klarheit und Konzentration – diese „Haltung“ verbindet sogar so gegensätzlich erscheinende Dinge wie ein Dreieck aus Stoff-Bahnen von Reiner Ruthenbeck aus dem Jahr 1980 und die Holzskulptur eines betenden Buddha aus dem 18. Jahrhundert; oder eine Reihe sonnengelber, nicht besteigbarer Blütenpollen-„Berge“ von Wolfgang Laib mit einer No-Maske der Edo-Zeit aus dem 18. Jhdt.; oder Aquarelle und Tuschzeichnungen Julius Bissiers und die zeichenhaften Schmuckornamente von japanischen Schwertern. Am überzeugendsten sind allerdings jene Zusammenstellungen, für die ein direkter historischer Einfluss belegt ist, wie etwa Arbeiten der Bauhaus-Architekten Walter Gropius und Mies van der Rohe, die von japanischer Architektur und Innenraumgestaltung tief beeindruckt waren.
Besonders schön fand ich die Kombination von Paul Klees Bild „Schwarze Zeichen“ (1938) mit einer zerbrochenen und wieder zusammengesetzten Teeschale (17./18. Jhdt.), sehe sie allerdings auch kritisch: sie suggeriert ja, das Fugen-Krakelée der Schale habe Klee für seine schwarzen Balken als Vorbild gedient. Außerdem stellt sich hier die Frage: Ist das Krakelée der Schale, als Resultat des Zerbrechens und Wiederzusammenfügens, ein Zufallsprodukt oder handelt es sich dabei um ein beabsichtigtes ästhetisches Gestaltungsmoment? Als solches „geadelt“ erscheint es erst durch das Kleesche Bild daneben. So beeinflussen sich beide Werke wechselseitig in der Art, wie sie wahrgenommen werden, werden im Auge des Betrachters so etwas wie Bild und Gegenbild – nicht optisch, sondern mental.
Den „krönenden“ Abschluss des Ganzen stellt auf der Empore ein monumentales Gebirgspanorama dar, bestehend aus einer Serie dicht an dicht gehängter Zeichnungen auf großen Bögen schweren Büttenkartons; die Hängeflächen bilden eine „Schnecke“, in ihrer Mitte ein Ring schwerer Basaltsteine von Richard Long. Die großen Zeichnungen des von Japan inspirierten israelischen Künstlers Raffi Kaiser bilden in sich noch einmal das Prinzip der Ausstellung ab: Das zarte, lebendig wirkende Linien-Gespinst bedeckt nur einen geringen Teil der Papierfläche und formt gerade dadurch den weißen Grund mit, der so nicht mehr leer erscheint, sondern als sonnenbeschienene oder schneebedeckte Fläche wahrgenommen wird; die leere „Mitte“ „füllt“ sich gleichsam von den „Rändern“ her. Die lineare Zeichnung umreisst ein Stück der aus weiter Ferne gesehenen Felsformationen und läuft an den Rändern ins Offene aus; so gibt sie sich als Ausschnitt zu erkennen, als „pars pro toto“ eines Ganzen, das unendlich vorzustellen ist.