Regine Nahrwold am 5. November 2007
Ausstellung: „Berühre Blumen, der Duft erfüllt die Kleider.“
So die Übersetzung einer poetischen Zeile aus einem japanischen Schriftbild, das in der Ausstellung „Die erfüllte Leere. Japan und der Westen“ im Kunstmuseum Wolfsburg zu sehen ist. Am Wochenende war ich zum 2. Mal dort und habe Dinge entdeckt, …
… die mir beim ersten Mal völlig entgangen sind. Z.B. der Kubus mit der Arbeit von Gerhard Merz, „Hommage á Boulle“, der von einem Kreis dicht an dicht senkrecht nebeneinanderstehenden Neonröhren so gleißend ausgeleuchtet wird, dass er völlig schattenlos ist. Von dort wird man weitergeleitet in ein Raumpaar, wo jeweils eine Teeschale neben einem monochromen Bild von Robert Ryman steht, der erste in Schwarz, der zweite in Weiß. Nach der schmerzhaft gleißenden Helle des Merz-Raums erholt sich das Auge hier und wird allmählich wieder empfänglich für die feinen Nuancen innerhalb des Weißen und Schwarzen, die mit der Zeit immer deutlicher hervortreten.
Neben den Zeichnungen von John Cage, einem Deckelgefäß für Wasser und einer verschnürten, hölzernen Werkzeugkiste hat mich dieses Mal am meisten die Tuschzeichnung eines Wasserfalls berührt: eine schwarze Fläche für die ruhiger fallenden Wassermassen, von der Seite gesehen, und daneben ein paar dynamische Pinselstriche für die schäumende Gischt. Dies in der rechten oberen Ecke des extremen Hochformats. Links unten ein paar Schriftzeichen, die über die leere, weiße Fläche hinweg mit der Zeichnung korrespondieren.
Ich musste daran denken, wie ich vor zwei Jahren in Neuseeland auf einem hohen Felsen am Meer lag und in die tosenden Wassermassen blickte, die wieder und wieder gegen den Stein anbrandeten. Ich war völlig fasziniert von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“ in diesem Spiel der Wellen, von denen eine wie die andere aussah und zugleich doch ganz einzigartig war; von dem ständigen Wechsel zwischen Zusammenfließen in Eins und dem Auseinanderspritzen in abertausend Vielheiten kleinster Wassertropfen; und davon, dass das alles nacheinander und doch gleichzeitig geschah. Courbets Bild „Die Welle“ kam mir in den Sinn, und ich bewunderte sein kühnes Unterfangen, die niemals still stehende Bewegung dieser Naturgewalt Wasser in ein naturalistisches Bild zu bannen. Natürlich musste ich auch an die Reflexionen Goethes vor dem Rheinfalls von Schaffhausen denken. Der japanische Maler und der deutsche Dichter versuchen beide das Unmögliche, von diametral entgegengesetzten Polen darauf zugehend: der eine kommt von der Idee her und sucht das Unendliche/Erhabene in der Leere, in der Reduktion auf 3, 4 Pinselstriche zu fassen – der andere geht vom Phänomen aus und ringt darum, die Fülle seiner Sinneseindrücke und Empfindungen in Worte zu fassen:
„Erregte Ideen über die Gewalt des Sturzes. Unerschöpfbarkeit als wie ein Unnachlassen der Kraft. Zerstörung, Bleiben, Dauern, Bewegung, unmittelbare Ruhe nach dem Fall“
„In dem ungeheuren Gewühle war das Farbenspiel herrlich. Von dem großen überströmten Felsen schien sich ein Regenbogen immerfort herabzuwälzen, indem er in dem Dunst des herunterstürzenden Schaumes entstand. Leichte Windstösse kräuselten lebhafter die Säume des stürzenden Schaumes. Dunst schien mit Dunst gewaltsam zu kämpfen, und indem die ungeheure Erscheinung immer sich gleich blieb, fürchtete der Zuschauer dem Übermaß zu erliegen und erwartete als Mensch jeden Augenblick eine Katastrophe.“