Regine Nahrwold am 20. November 2007
Film: Hanna Schygulla
Eine Lesung von Peter Bieri alias Pascal Mercier in der Buchhandlung Graff und „Der Eulenspiegeltänzer“, das neue Stück des Theaters Zeitraum von Gilbert Holzgang, über den Tänzer Waclaw Nijinsky, waren meine kulturellen Highlights der letzten Woche. Aber ich merke, dass meine Gedanken immer wieder zurückkehren zu Hanna Schygulla, die auf dem 21. Internationalen Filmfest Braunschweig mit dem neuen Preis „Europa“ geehrt wurde. (2008 wird ihn Bruno Ganz erhalten.) Im Allgemeinen mache ich mir nichts aus Begegnungen mit VIPS und Promis, aber…
… in diesem Fall habe ich mich doch sehr gefreut, diese wundervolle Frau und Künstlerin einmal life erlebt zu haben. Ihre feminine Ausstrahlung und, wie ich finde, sehr erotische Schönheit, ihre Unkonventionalität (sie freute sich, dass das Braunschweiger Filmfest noch so „herrlich unroutiniert“ ist), ihre Wärme und Klugheit haben mich ebenso beeindruckt wie ihre Aufgeschlossenheit gegenüber jungen Künstlern und ihre Lust auf Neues. Von dem Preisgeld wolle sie sich eine Kamera kaufen, einen Film über eine ihrer Freundinnen drehen und sich damit vielleicht schon beim nächsten Braunschweiger Filmfest beteiligen! Sprach’s und beḱräftigte dieses Vorhaben mit dem schönen Motto: „Auch ein alter Apfelbaum gibt noch junge Früchte!“ (Und sie hat’s wirklich getan: ihr Regiedebut „Alicia Bustamante“ erlebte beim 23. Filmfest 2009 die Welturaufführung!)
Die Laudatorin Kerstin Specht hob ihr berühmtes „Phlegma“ als Verweigerungshaltung zur „Es-geht-wieder-aufwärts“- Nachkriegshektik Ruth Leuweriks als Mutter der Trapp-Familie hervor. Sie betonte auch, wie konsequent Schygulla zu allem „Nein“ sagt, wozu sie keine Lust hat. Ich musste an die Szene in Margarete von Trottas „Heller Wahn“ denken, wo sie als Olga dem Mann ihrer Freundin Ruth dreimal hintereinander „Nein“ sagt – ohne Wut, Schärfe, Bosheit oder Aggression, aber sehr energisch, sehr ehrlich, vollkommen selbstsicher und glasklar: „Bist Du mir nicht mehr böse?“ „Nein.“ „Ganz bestimmt nicht?“ „Nein.“ „Und wirst Du Dich Ruths wieder annehmen?“ „Nein.“
Auf dem Filmfest konnte ich Hanna Schygulla unmittelbar hintereinander in zwei ähnlichen und doch sehr verschiedenen Rollen sehen, in Andrzej Waidas „Eine Liebe in Deutschland“ und in Fassbinders „Lilli Marleen„. In beiden Filmen liebt sie im Nazi-Deutschland einen Mann, den sie nicht lieben darf, hier einen Juden, dort einen polnischen Zwangsarbeiter. Zwei Szenen aus beiden Filme haben mich in dieser Zusammenschau sehr bewegt, weil sie zwei mögliche Wendungen desselben tragischen Konflikts darstellen. In beiden Szenen konfrontiert die Gestapo sie Knall auf Fall mit dem Geliebten, um sie zu überrumpeln und anhand ihrer Reaktionen zu überführen. Und diese könnten gegensätzlicher kaum ausfallen: Lilli, durch ihren Traum vom Ruhm korrumpierte Sängerin („Ich singe doch nur ein Lied!“) schafft es, mit äußerster Selbstbeherrschung ihre Gefühle und den Geliebten zu verleugnen – um ihrer beider Kopf zu retten. Pauline jedoch, herzensrein und hingebungsvoll Liebende, kann und will das Spiel nicht mitspielen, schließt ihren Geliebten vorbehaltlos in die Arme und – besiegelt damit sein Todesurteil.
Zum Schluss noch ein paar schöne Fotos vom „alten Apfelbaum“:
Hanna Schygulla, rot
Hanna Schygulla, schwarzweiß
Schöne Lilli/Kluge Hanna und ein großartiges Interview! (mit Fotostrecke)
Hanna Schygulla, Diva
Hanna Schygulla, klassisch-streng
Hanna Schygulla, jung
Hanna Schygulla, nachdenklich und schön
Hanna Schygulla, Auf der anderen Seite
… und allen, die mehr Fotos und Texte von ihr und über sie sehen und lesen möchten, empfehle ich das schöne Hanna Schygulla Album „Du… Augen wie Sterne“ aus dem Verlag Schirmer Mosel.