Regine Nahrwold am 6. Januar 2008
Ausstellung: Schlangen und Drachen
Noch bis zum 27. Januar ist in Braunschweig die Ausstellung „Schlangen und Drachen. Kunst und Natur“ zu sehen, ein Gemeinschaftsprojekt des Herzog Anton Ulrich-Museums und des Naturhistorischen Museums zum Jahr 2007, als Braunschweig „Stadt der Wissenschaft“ war. Im Herzog Anton Ulrich-Museum ist man diesen realen wie phantastischen, fabelhaften, mythologischen Tieren in Kunst und Kulturgeschichte auf der Spur – einzig und allein anhand von Werken aus eigenen Beständen. Und es ist kaum zu glauben, wo überall sich Schlangen und Drachen drauf, dran, drunter, drüber und drumherum ringeln! Man muss nur mal richtig hingucken, in die Sammlungen und Magazine – schon wird man fündig, und so mancher Schatz kommt zutage, der bis dato vielleicht ein unverdientes Schattendasein fristete!
Die Vielfalt der Kunstgegenstände reicht von Gemälden, Graphiken und Kleinplastiken über Majoliken, Prunkschalen und ein Email-Kästchen bis zu einer astronomischen Uhr mit Drachenzeiger, einer fein gestickten Leinentischdecke, einem beinernen Sattel aus dem 15. Jhdt. und einer kunstvollen Reliefintarsie aus verschiedenen Holzarten. Aus den Darstellungen auf all diesen Kostbarkeiten entsteht ein faszinierendes Bild der Schlange und des Drachens zwischen China und Europa, zwischen Gut und Böse, von der vorchristlichen Zeit bis zum 17. Jhdt. Am spannendsten fand ich den Bedeutungswandel, den dieses Tier in diesem Spektrum durchläuft, besser gesagt: das, was der Mensch in selbiges hineinprojiziiert.
Im Altertum wurden Schlangen und Drachen überwiegend als gut bzw. ambivalent angesehen: einerseits symbolisierten sie Fruchtbarkeit, Regeneration, Schutzkraft – andererseits galten sie als Erddämon und Inkarnation des Chaos. In China bewirkte der Regendrache durch das Spiel mit der Glücksperle Regen und Donner; der Feuerdrache brachte Trockenheit, der schwarze Drache Sturm und Überschwemmungen. Eine rot und golden gefasste Kleinplastik zeigt Buddha, unter dem Schutz des Naga-Königs Mucilinda in Gestalt einer Schlange hockend, deren 7 Köpfe sich wie ein Baldachin über ihm wölben. Die Schlangengöttin Uto (griech.: Uraeus) war die Schutzgottheit Ober- und Unterägyptens und hatte apotropäische Wirkung, daher zierte eine sich aufbäumende Kobra den Kopfschmuck des Pharao. Die Riesenschlange Apophis dagegen versucht täglich, den Sonnengott Re anzugreifen und den Sonnenaufgang zu verhindern, sie gehört damit den Mächten der Finsternis an.
Im alten Griechenland ordnete man die Schlange der Erde und dem Wasser zu, und so wird der Wagen des Triptolemos, Sohn der Gaia (Erde) und des Okeanos (Ozean) von zwei Schlangen gezogen. Zu sehen auf dem berühmten „Mantuanischen Onyxgefäß“ (um 54 n.Chr.). In der Antike sah man Drachen als Unterart der Schlangen an, an denen besonders das Gift und die Frage nach dem Gegengift interessierte (Selbstmord der von Antonius verlassenen Kleopatra durch eine Giftschlange, hier in einem Gemälde von Rosso Fiorentino, um 1530). Wieder war die Schlange negativ und positiv besetzt, galt als erdverbunden, scharfsichtig und Symbol der Seele. Um den Stab des Gottes der Heilkunst, Äskulap (zu sehen auf einem Bild von Luca Giordano, um 1655-65) windet sich eine Schlange. Zwei schmücken den Stab des Götterboten Hermes/Merkur, der zugleich der Gott der Kaufleute, der Diebe und der Kommunikation ist; sie versinnbildlichen die Gabe der Vermittlung und Diplomatie sowie die verdammende und die erlösende Seite der Redekunst, deren Schärfe mit dem Gift der Schlange verglichen wurde. Herkules, der mit Schlangen und Drachen zu kämpfen hatte, fehlt in dieser Reihe ebenso wenig wie Laokoon, der trojanische Priester, den Athene zur Strafe für seine Warnung vor den Gefahren des riesigen Holzpferdes zusammen mit seinen beiden Söhnen von zwei riesigen Schlangen töten lässt. Diese berühmte hellenistische, 1506 in Rom gefundene Skulpturengruppe ist leider nicht durch den Gipsabguss vertreten, den das Museum besitzt, sondern durch einen Kupferstich.
Mit dem Christentum geht der ambivalente Charakter der Schlange zwar nicht ganz verloren, wie die Geschichte von der rettenden ehernen Schlange im Buch Moses (Majolikavase mit Darstellung Moses‘ und der Schlange, um 1630) beweist, jedoch überwiegt von nun an ihr schlechter Charakter. Schlange und Drache verkörpern den Widersacher Gottes, den Satan, ihre Überwindung ist die Überwindung des Heidentums und des Bösen schlechthin. Das prägnanteste Bild dafür ist natürlich der Sündenfall Adam und Evas, den hier Dürer (Kupferstich, 1504), Cranach (Gemälde, 1518) und Rembrandt (Radierung, 1638) in einer schönen Reihe vor Augen führen. Dürers Holzschnitte der „Babylonischen Hure“ und „Das Sonnenweib und der 7köpfige Drachen“ aus der Folge der „Apokalypse“ von 1511 dämonisieren den Drachen ebenso wie Jacques Callots Radierung „Die Versuchung des Heiligen Antonius„. Den Heiligen Margarete, Michael und Georg (dieser dargestellt auf einer kleinen Reliefintarsie, dem Fragment einer Brettspiel-Cassette aus dem 17. Jhdt.) ist als Attribut ein Drache beigegeben, da jeder von ihnen einen solchen Unhold kraft seines Glaubens besiegt hat.
Luzifer, der gefallene Engel, der vom Erzengel Michael in die Hölle hinabgestürzt wurde, erscheint als Drache auf dem schönen Emailkästchen aus Limoges, 2. Hälfte 16. Jhdt. Auf diesem Kästchen sind 5 Szenen aus der Sage Phaetons dargestellt, der einmal den Sonnenwagen seines Vater, des Sonnengotts Helios, über den Himmel lenken will und damit die ganze Welt in Brand steckt (was Volkswagen nicht davon abgehalten hat, ein Auto nach ihm zu benennen!!!). Er vertreibt Sterne aus dem Universum und stürzt den Wächter des Sternenmeeres, den Morgenstern Luzifer (= Lichtbringer) in die Tiefe. In Verschmelzung der antiken und christlichen Namensbedeutung hat dieser auf dem Kästchen als Drache seinen Platz gefunden, über den Phaeton mit wehendem Mantel, die 4 starken Sonnenrosse kaum bändigend, hinwegrast.
Im 17. Jhdt. schaut Europa fasziniert nach Ostasien, v.a. nach China; die Kunst Ostasiens, durch die Ostindischen Kompanien importiert, wird Vorbild und Inspirationsquelle für die Kunst Europas. Auf zahllosen Chinoiserien erscheint der schön geschwungene Drachenleib als dekoratives Element. Bereits um 1500, da auch die Wunderkammern entstehen, war das naturkundliche Interesse, auch an Schlangen und Drachen, erwacht. Wie sehr trotzdem Fakten und Fiktion noch vermischt bleiben, zeigt die Abbildung eines Basilisken in einem der hier gezeigten naturkundlichen Bücher, obwohl als Variante des Drachen ein reines Fabelwesen! Zwei Glanzlichter in diesem Teil der Ausstellung sind zum einen eine prächtige Augsburger Prunkschale plus Kanne mit Drachendekor, aus Marmor, besetzt mit Silberreliefs, Achat, Blutjaspis, Granat, Karneol und Türkis; zum anderen eine große, runde, irdene Schale mit einer zusammengerollten Schlange in der Mitte, um die sich zwischen Steinen und Blättern täuschend echt wirkende Fische, Frösche, Krebse, Muscheln, Schnecken und Libellen tummeln. Sie stammt von dem französischen Töpfer, Emailleur, Geologen und Alchimisten (!) Bernard Palissy (1510-1589), der seinerzeit berühmt war für seine Naturabgüsse (sozusagen frühe Readymades). Der Trompe-l’œil-Effekt verstärkt sich noch, wenn die flache Schale mit Wasser gefüllt wird, dann glaubt man, in den Ausschnitt eines Flussbetts hineinzuschauen!
Neben einem sehr fein gemalten dunklen Wald-Stilleben von Otto Marsaeus van Schrieck (1619-1678) mit Insekten, Amphibien, diversen Pilzen und einer Tulpenblüte verweisen 3 Gläser mit in Spiritus konservierten, echten Schlangen auf die Fortsetzung der Ausstellung im Naturhistorischen Museum.