Regine Nahrwold am 13. Januar 2008
Film: The Heiress
Am 30. Dezember sah ich William Wyler’s „The Heiress“ (1949), eine Verfilmung des Romans „Washington Square“ von Henry James (1881). Der Film lief in der Reihe „Frauen und Kino“ des Braunschweiger Filmfestvereins im Kleinen Haus des Staatstheaters. Ich musste mich etwas aufraffen, abends noch mal weg zu gehen, aber: Es hat sich sehr gelohnt, I was deeply impressed! Hatte den Eindruck, dass einige Zuschauer den Film unterhaltsam-romantisch bis kitschig oder gar altmodisch-lächerlich fanden. Das mag einerseits – die Geschichte spielt in den 60er Jahren des 19. Jahrhunderts – der historischen Kulisse samt Kostümen á la „Vom Winde verweht“ geschuldet sein, andererseit dem emphatischen Spiel der großartigen Olivia de Havilland und dem Umstand, dass es sich um eine Liebesgeschichte handelt. Aber all das täuscht: Hier geht es nicht um die Irrungen und Wirrungen, nach denen Frau am „Happy End“ bei „Mr. Right“ unter der Haube für immer und ewig ihr Liebesglück findet, sondern um die messerscharfe Analyse jener gesellschaftlichen Konventionen und ökonomischen Zwänge, an die dieses Liebesglück damals gekoppelt war (und ist es das heute nicht oft genug immer noch?). Es ist die Geschichte einer Desillusionierung, einer Ent-Täuschung im wahrsten Sinne des Wortes…
Catherine, die einzige Tochter eines reichen Arztes, lebt in einem noblen Haus am Washington Square in New York, zusammen mit ihrem Vater und ihrer verwitwten Tante. Beider größte Sorge ist es, Catherine zu verheiraten. Verehrer sind weit und breit nicht in Sicht, denn Catherine ist schüchtern, linkisch und ängstlich, ein richtiges „Mauerblümchen“. Von all den Künsten, die den Wert eines Mädchens auf dem Heiratsmarkt ausmachen, beherrscht sie keine: weder tanzen noch singen oder Klavier spielen, weder plaudern noch kokettieren. (Das einzige, was sie gern und mit großer Hingabe macht, ist Sticken.) Sie ist außerstande, sich zu verstellen und die Regeln des Gesellschaftspiels „Wie mache ich eine gute Partie?“ zu erlernen. Sie selbst leidet darunter, sehnt sich nach Liebe und tut alles, um dem Vater – und damit einem potentiellen Heiratskandidaten – zu gefallen. Der aber sieht in seiner Tochter nur ein defizitäres Wesen, dem alles fehlt, was er an ihrer schönen, „parkettsicheren“ Mutter über alles geliebt hatte. Der Vergleich mit dem unerreichbaren Ideal pflanzt dem jungen Mädchen natürlich noch mehr Minderwertigkeitsgefühle ein.
Auf der Hochzeit ihrer Cousine macht Catherine der gut aussehende, charmante und höchst attraktive Morris (Montgomery Clift) den Hof, der gerade von einem längeren Europa-Aufenthalt zurückgekehrt ist und nun, arbeitslos, bei seiner Schwester lebt. Bereits am nächsten Tag macht er ihr einen Besuch, eine glühende Liebeserklärung („You are so honest – I love that!“) sowie einen Heiratsantrag. Die völlig unerfahrene Catherine, unfähig zwischen Berechnung und echtem Gefühl zu unterscheiden, weil sie selbst nur das zweite kennt, verliebt sich bis über beide Ohren und schwebt im siebten Himmel. Der Vater jedoch, der Morris misstraut und in ihm einen Mitgiftjäger wittert, verweigert seine Einwilligung zur Heirat. Er nimmt Catherine mit auf eine mehrmonatige Europa-Reise, damit sie Morris vergisst – doch vergeblich: Am Tag der Heimkehr muss er erkennen, dass ihr Glaube an dessen Liebe unerschütterlich fest steht. Mit äußerster Brutalität hält er ihr vor, dass Morris sie nicht um ihrer selbst willen, sondern nur ihres Geldes wegen haben wolle; anders könne es gar nicht sein, denn schließlich sei nichts, aber auch gar nichts Liebenswertes an ihr, und wenn sie an Morris festhalte, werde er sie enterben.
Catherine ist wie vom Donner gerührt. Von einer Sekunde auf die andere fällt es ihr wie Schuppen von den Augen: Ihr verehrter Vater, dem sie immer vertraute und dem sie niemals zu widersprechen wagte, liebt sie nicht und hat sie niemals geliebt! Noch am selben Abend trifft sie sich heimlich mit Morris, der für den nächsten Tag eine gemeinsame Flucht und die Trauung vorbereitet hat. Sie fleht ihn an, nicht mehr bis morgen zu warten, sondern noch heute abend – jetzt! sofort! – mit ihr zu fliehen. Keinen Tag länger wolle sie mit ihrem lieblosen Vater unter einem Dach verbringen, es sei ihr auch ganz gleichgültig, dass sie um Morris Liebe willen ihrem Erbe entsagen müsse! Nach kurzem Zögern willigt Morris ein und verspricht, sie um Mitternacht mit einer Kutsche abzuholen. Catherine eilt ins Haus, packt ihre Sachen und wartet in höchster Ungeduld. Es schlägt zwölf, doch Morris kommt nicht. Sie muss erkennen, dass er sie verlassen hat, weil sie ohne die erhoffte Mitgift für ihn wertlos geworden ist; völlig gebrochen kehrt sie in das verhasste Vaterhaus zurück.
Von da an ist Catherine total verwandelt: Die frühere Naivität, Gutgläubigkeit und Folgsamkeit ist ins absolute Gegenteil umgeschlagen: Jedem Versuch des Vaters, ihre Gunst zurückzuerlangen, begegnet sie mit eisiger Kälte, seinen Drohungen, sie zu enterben, mit schneidendem Zynismus. Nicht einmal, als er sterbend nach ihr schicken lässt, ist sie zur Versöhnung bereit. Nach seinem Tod lebt sie sehr zurückgezogen und widmet sich mit geradezu fanatischem Eifer der Stickerei. Eines Tages berichtet ihr die Tante, dass sie Morris in der Stadt getroffen habe und dieser sie wiedersehen wolle. Und schon klingelt es an der Tür und er steht vor Catherine – mit den selben Schmeicheleien wie damals, dazu fadenscheinigen Ausreden auf ihre Frage, warum er sie im Stich gelassen habe. Zuerst ist sie eisig – doch dann lässt sie sich, scheint’s, erweichen, einen zweiten Heiratsantrag von ihm anzunehmen. Alle Strenge und Kälte fällt von ihr ab, und als sie Morris noch einmal bittet, gleich morgen zu heiraten, scheint sie wieder ganz das hingebungsvolle junge Mädchen von damals. Voller überschwänglichen Gefühls schenkt sie Morris die Diamant-Knöpfe, die sie bereits vor 5 Jahren in Paris als Hochzeitsgeschenk für ihn gekauft hatte – überwältigt eilt er davon, mit dem Versprechen, alles zu regeln und morgen abend wieder zu kommen. (Und im Zuschauerraum packte mich das Grausen: Nein!!! Sie wird doch nicht ein zweites Mal auf diesen Windhund reinfallen, der sich nun mit den kostbaren Schmuck erneut aus dem Staube machen wird???!!!)
Kaum ist er fort, lässt Catherine sich am Stickrahmen nieder und nimmt wieder die „coole“ Haltung an, die ihr mittlerweile zur zweiten Natur geworden ist. Ihre Tante, die erleichtert ist, dass ihre Nichte nun doch nicht als alte Jungfer enden muss, traut ihren Augen nicht: Ob sie denn nun nichts anderes zu tun habe? Nein, antwortet Catherine, mit der Sticknadel erbarmungslos zustechend, sie habe nämlich nicht im mindesten vor, mit Morris fortzugehen. „He came with the same phrases, the same lies“ stellt sie mit Todesverachtung fest. Die Tante (fassungslos): „Oh dear, how can you be so cruel?“ „Why not? I was taught by masters“ lautet die schneidende Antwort.
Als Morris am nächsten Abend anklopft, weist Catherine das erstaunte Dienstmädchen an, die Haustür zu verriegeln. Eine Weile lauscht sie, unter Schmerzen, seinem Hämmern, Klingeln, Rufen… Dann wendet sie der Tür den Rücken zu, geht die Treppe hinauf und lässt ihn für immer hinter sich.