Regine Nahrwold am 8. April 2008
Ausstellung: Christoph Keller und Claus Richter im Kunstverein Braunschweig
Zwei sehr schöne Ausstellungen sind noch bis zum 12. Mai im Kunstverein Braunschweig zu sehen: das Haupthaus „Salve Hospes“ hat Christoph Keller, ein Grenzgänger zwischen Kunst und Wissenschaft, in ein „Observatorium“ verwandelt, und im kleinen „Cuboid“ zeigt Claus Richter seine eigens dafür angefertigte Arbeit „Two Barnum Egress Drifts„.
Die Tatsache, dass in den 1940er Jahren das Spracharchiv von Eberhard Zwirner in der klassizistischen Villa von Peter Joseph Krahe seinen Sitz hatte, hat Keller zum Ausgangspunkt seiner umfassenden Arbeit gemacht. Im Eingangsbereich wird man von einer Satellitenschüssel empfangen, die sich wie ein riesiges, rundes Ohr in die Rotunde schmiegt – wohin sind seine Antennen gerichtet, worauf lauscht es, was gibt es da zu hören? Zu sehen jedenfalls ist in der konkaven Wölbung ein Bild, eine Öffnung in den Himmel hinein wie in einem Deckengemälde der Renaissance oder des Barock. Es zeigt Kellers Rekonstruktion des „Cloudbusters„, eines Apparats, mit dem Wilhelm Reich in einem Experiment das von ihm „entdeckte“ Orgon aus der Atmosphäre saugen und so das Wetter beeinflussen wollte. Dies ist der Auftakt zu Kellers kluger, sensibler, sorgsam und schön gemachter Reflexion über Sprache und Kommunikation, darüber, wie Menschen Wissen erlangen, bewahren, weitergeben.
Die Video-Aufnahme eines Interviews mit dem Galeristen (und Honorar-Professor der HBK Braunschweig) Rudolf Zwirner, der über das Spracharchiv seines Vaters und seine Lebenszeit in Braunschweig berichtet, ist ungeschnitten und liefert alles mit, was für gewöhnlich der Schere des Cutters zum Opfer fällt: die Suche nach dem richtigen Anbringungsort für’s Mikrophon, das laut raschelnde Daran-Herumnesteln, Stimmen aus dem Off, einen unterbrechenden Telefonanruf usw. Das „Einblenden“ dieser Metaebene nimmt dem Interview die Unmittelbarkeit und lässt bewusst werden, dass und wie es gemacht ist.
In der (engen, muffigen) Arbeitskabine eines Simultandolmetschers kann man in einer Art Rollentausch einer Dolmetscherin zuhören und zusehen (Video), die einen Vortrag vom Deutschen ins Englische übersetzt; er handelt vom Anteil der Sprache an der Konstitution des Selbst. Ihr Hören und Sprechen werden begleitet von einer Miene höchster Konzentration und sehr prononcierten Gesten, die Bestandteil ihrer Sprache, ihres Sprechaktes sind.
Kellers künstlerische Methode ist das Sammeln, Archivieren, ästhetische Zurichten und Präsentieren von Dingen, die oft ihrerseits Sammelgut und Archivmaterial sind, aus einem enzyklopädischen Anspruch, einem klassifizierenden Denken heraus zusammengetragen, etwa die medizinhistorischen Dokumentarfilme der Berliner Charité oder die Tierfilme des IWF Göttingen. Ausschnitte aus Filmen, mit denen Konrad Lorenz die Bewegungsabläufe sämtlicher Tierarten dokumentieren wollte, laufen auf mehreren Monitoren im „Roten Saal“. Aus einigen dieser Filme hat Keller die jeweils kleinste Bewegungseinheit herausgenommen, und man sieht nun Wasserschweinen, Pinguinen, Vögeln, Bisons und Bären beim Schwimmen, Fliegen und Laufen zu, synchronisiert, in Zeitlupe und als Endlosschleife. (Ruft übrigens einen angenehmen Trance-Zustand hervor…)
Ein Raum des Obergeschosses ist durch rote Klappsessel in ein Kino verwandelt. Gezeigt wird dort eine Collage von Spielfilmausschnitten, in denen es um Hypnose geht. Auf der einen Seite also ein rationales Wissenschaftsmodell, das aus der Vielfalt von Einzelerscheinungen, durch empirische Beobachtung gewonnen, ein allgemeines Gesetz abstrahiert oder eine Hypothese damit zu belegen sucht – auf der anderen Seite Parawissenschaft und irrationale Wege der Erkenntnis, die aus den Tiefen des Unbewussten schöpfen. Dieser „Nachtseite“ scheinen auch die Negativ-Aufnahmen eines Observatoriums und von amerikanischen Botschaftsgebäuden entsprungen zu sein. Beide Wissenschaftsmodelle stellt Keller einander gegenüber und lässt so das eine am jeweils anderen frag-würdig werden. Wohl nicht von ungefähr erinnert ein Tableaux mit Aufnahmen von Flugzeug-Kondensstreifen (gesammelt von Wissenschaftlern, die damit den Einfluss von Kerosin auf die Erderwärmung nachweisen wollten) an Wolkenbilder der Romantik, jene Epoche und Kunstform, von der der Dichter Ludwig Uhland schrieb: „Sie ist hohe, ewige Poesie, die im Bilde darstellt, was Worte dürftig oder nimmer aussprechen; sie ist das Buch voll seltsamer Zauberbilder, die uns im Verkehr verhalten mit der dunkeln Geisterwelt; sie ist der schimmernde Regenbogen, die Brücke der Götter, worauf nach der Edda sie zu den Sterblichen herab- und die Auserwählten zu ihnen emporsteigen. Hat denn stets der absprechende Unglaube der neuen Zeit bessern Grund als der verrufene Aberglaube der alten?“ (Über das Romantische)
Zu Kellers „Observatorium“ passt sehr schön, was Claus Richter im „Cuboid“ zu zeigen hat: im einen Raum einen Film, dessen Story im Haus „Salve Hospes“ spielt. Sie handelt vom Hinaus- und Hineinwollen, von verbotenen Türen, die man mutig öffnen muss, von geheimen Gängen, in deren Tiefe man abtauchen muss, wenn man dem Anderen begegnen, „hinüber“ oder hinaus und ins Freie will… Im anderen Raum ist eine Installation zu sehen, die im Film als Kulisse eine Rolle spielt…