Regine Nahrwold am 16. April 2008
Aischylos‘ Perser: Textvergleich I
Opfer: Milch Honig Wasser Wein Oliven Blumen
“Kriege entstehen aus dem Scheitern,
das Menschsein der Anderen zu verstehen.”
Der Dalai Lama
Für einen Vergleich verschiedener Übertragungen aus dem Griechischen habe ich die Worte der Königin Atossa, Gemahlin des Dareios und Mutter des Xerxes, ausgesucht. So ruft sie zum Opfer auf, um den Geist des toten Dareios aus der Unterwelt herauf zu beschwören:
Drum bin ich wieder diesen Weg – nicht wie zuvor
Im Glanz der Hoheit, nicht im goldnen Wagensitz –
Zurückgekommen, fromm dem Vater meines Sohns
Aufs Grab zu gießen der liebsten Spende Guß:
Von junger, unberührter Kuh weißlautre Milch,
Der Blumenschaffnerin Biene tröpfelnd hellen Seim,
Dazu der jungfräulichen Quelle kühlen Trunk,
Und unvermischt, wie einst der wilden Mutter er
Entsprang, der alten Rebe glühenden Purpursaft;
Dann auch des stillen, ewig blättergrünenden
Laubdunklen Ölbaums milde, duftigsüße Frucht,
Und bunte Blumen, Kinder der verjüngten Au. –
Nun, Freunde, singt denn euer feiernd Totenlied
Zu meiner Totenspende, rufet mir empor
Den hehren Geist Dareios‘, während ich mit Fleiß
Den Göttern jenseits gieße meiner Spende Gruß.
(Johann Gustav Droysen, 1832)
So komm ich ohne Wagen und nicht, wie zuvor,
Im Prunkkleid aus dem Hause diesen Weg zurück,
Um wohlgesinnte Spenden, wie sie taugen zur
Beschwichtigung der Toten, dem Vater meines Sohns
Zu bringen: schmackhafte weiße Milch von heiliger Kuh,
Ganz hellen Honig, Seim der Blütengeschäftigen,
Mit Wassertropfen eines jungfräulichen Quells
Und weiter, hier, dem unvermischten Trank, der von
Der wilden Mutter stammt, der alten Rebe Lust,
Dann von dem falben Ölbaum, der in Blättern stets
Gedeiht und lebt, die Frucht mit angenehmem Duft,
Und Kinder der alltragenden Erde: Blumengewind.
Ihr aber, Freunde, für die Toten unten singt
Zu diesen Spenden Lieder, und Dareios ruft
Herauf, den Daimon. Ehren, die die Erde trinkt,
Hier führ ich sie den Göttern in der Tiefe zu.
(Emil Staiger, 1908-1987)
Deshalb nämlich den Weg hier ohne Träger und
Gepränge wie vorhin aus dem Haus wieder
Schickte ich, des Sohnes Vater, ihm, freundliche Opfergüsse
Bringend, den Toten lieb
Vom Rind, dem heiligen, weiße, guttrinkbare Milch
Von der Blütenesserin im Flug den Tropfen
Den ganz hellen Honig und mit Wassergüssen
Der jungfräulichen Quelle, unvermischt
Von der wilden Mutter her den Trank
Des alten Weinstocks, den Trank hier
Und von den immer blühenden Blättern
Lebendig, des blonden Olivenbaums die Frucht, wohlduftend
Und Blumen, geflochten, der alles
Tragenden Erde Kinder.
Nun, Freunde, zu solchen Opfergüssen der Unterirdischen
Gesänge stimmt jetzt an, und den Daimon
Dareios ruft herauf, und voraussenden will
Erdtrinkende ich Ehrungen ich
Den unterirdischen Göttern.
(Peter Witzmann / Heiner Müller, ca. 1992)
Darum, noch einmal, trieb es mich her aus dem Königspalast.
Nicht hoch auf dem Wagen, schmucklos, ohne den alten Pomp,
Trete ich vor Euch und bringe ein Sühneopfer dem Vater
Meines Sohnes, die Spenden, mit der man die Toten besänftigt:
Von einer Kuh, unberührt, süße Milch und den hellen Honig,
Den Tau, wie ihn Bienen aus Blüten saugen, und frisches Wasser,
Aus jungfräulicher Quelle geschöpft, und dann diesen Trank,
Unvermischt, Saft von dem alten Weinstock, aus wildem Samen.
Dazu noch, im üppigen Blattwerk gereift, die würzige Frucht
Des blonden Olivenbaums, und Kränze, geflochten aus Blumen,
Den Kindern der Erde, die uns so reichlich beschenkt.
Kommt jetzt, Freunde, Stimmt den Gesang an, ich will derweil
Opfern den Toten. Ruft ihn, den Daimon des großen Dareios!
Dies hier, den Göttern der Unterwelt, will ich bringen als Gabe,
Daß es die Erde aufnimmt und trinkt.
(Durs Grünbein, 2001)