Regine Nahrwold am 18. April 2008
Aischylos‘ Perser: Textvergleich II
“Kriege entstehen aus dem Scheitern,
das Menschsein der Anderen zu verstehen.”
Der Dalai Lama
Von den vier Übertragungen der Tragödie aus dem Griechischen ins Deutsche – Droysen, Staiger, Grünbein, Witzmann/Müller – ist jede einzelne eine hervorragende Leistung. Die jüngste, aus dem Jahr 2001, von Durs Grünbein, ist sicherlich die verständlichste, „leichteste“, da am stärksten an unseren heutigen Sprachgebrauch angepasst. (Ich habe sie als erste gelesen, um überhaupt erstmal den Inhalt des Stücks zu verstehen.) Genau deshalb halte ich sie aber auch für die schwächste, für „zahm“ und – ja, eben „angepasst“, die Höhen und Tiefen weitgehend eingeebnet. Sie ist „moderat“ im ursprünglichsten Sinne des Wortes und darin sehr postmodern. Der „Moderator“ Grünbein verringert den historischen Abstand zu Aischylos, bis fast zum Verschwinden. Der antike Dichter wird der Gegenwart einverleibt, ihrem Zeitgeist unterworfen. (Darin hat Grünsbeins Übersetzung mit der von Droysen starke Ähnlichkeit.)
Droysens und Staigers Versionen sind sehr lyrisch, wobei die von Droysen inzwischen etwas altmodisch, verstaubt und gedrechselt anmutet; mit Datum 1832 ist sie auch die älteste. Die Übertragung von Emil Staiger (1908-1985) ist vielleicht die schönste, hält eine meisterhafte Balance zwischen altem Griechisch und neuem Deutsch. In Wortwahl, Satzbau, Versmaß ist sie tief empfundene Nachdichtung, bis in die Geschlossenheit der vollständigen Strophen hinein.
Der „Perser„-Text von Peter Witzmann und Heiner Müller vom Anfang der 90er Jahre ist die Wiedergeburt der Tragödie aus dem Geist der Moderne: fragmentarisch, sperrig, abgehackt, roh – eine Zumutung! (Und die Partitur unserer Regisseurin Claudia Bosse setzt das fort und verstärkt diese Widerständigkeit noch durch den „unnatürlichen“ Sprechduktus.) Als Interlinearversion bleibt er viel dichter am griechischen Original als die Übertragungen von Droysen, Staiger, Grünbein und behält genau darum immer ein Stück von dessen Fremdheit. Er macht uns kein „Identifikationsangebot“, wie das heute so gern genannt wird. Er gestattet uns nicht, dass wir mitfühlend in ihn „hineingleiten“. Allerdings ist er von einer archaischen Wucht, die trifft und packt. In seiner dichterischen und unglaublich sinnlichen Sprach-Gewalt (Tod = Hadesvollstopfer!) transportiert er etwas von jener Brutalität des Krieges, die dem Schicksal der Menschen in diesem Drama eine mythische Dimension verleiht.
Und hier Müllers eigene, so knappe wie genaue Erklärung, die er dem Text vorangestellt hat:
„Die Übertragungen von Peter Witzmann (PROMETHEUS, ORESTIE, PERSER) sind Interlinearversionen. Sie unterscheiden sich von anderen per Tuchfühlung mit den alten Texten. Sie ziehn dem Autor nicht die Uniform der Zeit an wie die gängigen wilhelminischen der Droysen und Wilamowitz und ihrer Nachfolge. Der Gestus des Originals verschwindet nicht in der Information über den Inhalt. Das macht sie dunkel und für flüchtige Leser schwer zugänglich. Sie sollten gelesen werden wie sie geschrieben sind, nicht satzweise, sondern Wort für Wort. Die Dunkelheit erhellt den Abstand zwischen Aischylos und uns. In der Distanz scheint das Kontinuum menschlicher Existenz auf und im Kontinuum die Differenz.“