Regine Nahrwold am 8. Januar 2009
Jeremy Rifkin: Access. Das Verschwinden des Eigentums
Außer „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“, dem wunderbaren neuen Buch von André Heller, habe ich über Weihnachten Jeremy Rifkin gelesen, „Access. Das Verschwinden des Eigentums. Warum wir weniger besitzen und mehr ausgeben werden“ (Frankfurt a.M.: Fischer 2002, heute im Campus Verlag). Der amerikanische Wirtschaftswissenschaftler analysiert und beschreibt in diesem Buch sehr genau, wohin sich unsere Gesellschaft im Zeitalter des Internets, der Globalisierung und des Turbokapitalismus, unter dem Einfluss zunehmender Beschleunigung, Flexibilisierung und Kommerzialisierung entwickelt. Seine These: Besitz und Eigentum werden mehr und mehr ersetzt durch den – natürlich kostenpflichtigen – Zugang zu dem Recht, Besitz und Eigentum anderer zu leihen und zu nutzen. Die wirtschaftliche Zukunft besteht darin, immer mehr solcher Zugänge zu schaffen, sich die Macht darüber zu sichern, bestimmte Erlebniswelten drumherum zu generieren und diese exklusiv zu machen für jene Menschen, die dafür bezahlen können; entlang der Lebenslinie eines Menschen immer mehr und neue Erlebnisse zu generieren, diese zu vermarkten und damit Kundenbindung zu betreiben. Kultur wird mehr und mehr eine Mischung aus Lifestyle, Konsum, theatralischer (Selbst-)Inszenierung, Musik, Show und Entertainment.
Rifkins Analyse ist glänzend, und vieles davon kann man ja schon seit Jahren beobachten und täglich am eigenen Leib erfahren, v.a. die Beschleunigung und Flexibilisierung unseres ganzen Lebens, in dem mehr und mehr das Neue, Schnelle, Laute, Bunte, Mediale/Digitale das Alte, Langsame, Leise, Stille, Analoge verdrängt. Sein Buch kann man gleichermaßen als Ratgeber zu mehr wirtschaftlichem Erfolg wie auch als Warnung vor den Folgen der empfohlenen Strategien lesen. (Von daher kann man sich fragen, ob es nicht dazu beiträgt, jene Phänomene erst zu erzeugen, die es beschreibt bzw. vor denen es auch warnt.) Mich bewegt es sehr, und ich frage mich vor allem: Was passiert mit all dem Eigentum und Besitz, mit all der Materie, die als nicht wirtschaftlich verwertbar, als Ballast abgestoßen wird? Vor allem mit dem Kunst- und Kulturgut, das zu hüten die Aufgabe der Museen und ihrer Kustoden ist (custos = Wächter!) sowie den historisch und kulturell bewahrenswerten Immobilien? Wohin wandern die Bibliotheken all jener, die aus Geldnot in kleinere Wohnungen umziehen müssen oder einfach nur – na, eben „Ballast abwerfen“ möchten? Auf den Müll? Zu Amazon? Zu den Antiquaren? (Meiner ist jedenfalls schon ganz eingemauert!) Welche Abhängigkeiten entstehen für die Menschen, die Eigentum durch „Access“ ersetzen, von denen, die ihnen den „Access“ verkaufen, v.a. wenn dieser an Lebensnotwendiges (Wohnung, Wasser, Strom, Heizung, Nahrung, Öl/Benzin u.a.) gekoppelt wird? Inwieweit also wird irgendwann die vom Anbieter erstrebte, weil profitable „Kundenbindung“ für den einzelnen Kunden zur Fessel, zur Ausbeutung? Was geschieht mit all den Menschen, die ausgeschlossen werden, weil sie sich die „Zugänge“ zu den exklusiven Netzwerken nicht leisten können? Werden sie irgendwann durch die Hintertür wieder hereingeholt, wenn es an zahlender Kundschaft mangelt? (Das MARTa in Herford warb unlängst mit der kostenlosen Öffnung für Obdachlose!) Und wird es nach der Krise der Finanzmärkte zu einer neuen Wertschätzung von Eigentum kommen? Werden wir Dinge, die wir besitzen, wieder mehr als Ressourcen denn als Ballast betrachten?
Rifkin selbst, von dem zuletzt 2004 „Der europäische Traum. Vision einer leisen Supermacht“ erschienen ist, hält mit Kritik nicht hinter dem Berg und spricht mir mit folgenden Absätzen förmlich aus der Seele:
„Eine für das kommerzielle Zeitalter ganz wesentliche Aufgabe wird sein, wieder eine sichere Balance zwischen Kultur und Kommerz herzustellen. Die Kommerzialisierung des Zugriffs droht die kulturellen Ressourcen über die Maßen auszubeuten und zu erschöpfen, vergleichbar etwa mit der Ausbeutung natürlicher Ressourcen im Industriezeitalter. Die Frage ist, ob und wie es gelingen kann, die bestehende reiche kulturelle Vielfalt zu erhalten und zu mehren. Denn sie ist der Lebensnerv jeder Zivilisation – auch der einer globalen, vernetzten Wirtschaft, die den bezahlten Zugang zu vermarkteten kulturellen Erlebnissen ins Zentrum ihrer Aktivitäten stellt.“ (S. 20)
„Das auf Netzwerken basierende Wirtschaftsleben beschleunigt tatsächlich Beziehungen, verkürzt Zeitspannen, verbessert die Effizienz und macht alles bequemer, weil es alles, was wir uns vorstellen können, zu einer kommerziellen Dienstleistung macht. Aber wenn praktisch alle Beziehungen zu kommerziellen Beziehungen werden und das Leben eines Menschen 24 Stunden täglich zum Gegenstand des Kommerzes wird, was bleibt dann für nichtkommerzielle Beziehungen übrig – für Beziehungen, die auf Verwandtschaft, Nachbarschaft, gemeinsamen kulturellen Interessen, religiöser Zugehörigkeit, ethnischer Identifizierung und brüderlichem und staatsbürgerlichem Engagement beruhen? Wenn Zeit selbst gekauft und verkauft wird und das Leben wenig mehr als eine fortgesetzte Serie kommerzieller Transaktionen ist, die durch Verträge und Finanzierungsinstrumente zustande kommen, was passiert dann mit den traditionellen Beziehungen, die auf Zuneigung, Liebe und Hingabe beruhen? Es ist schon beunruhigend genug, dass Marketingexperten und Unternehmen (S. 152) das entwickeln, was sie langfristig „Kundenintimität“ nennen, und aktiv mit einer Reihe verschiedener Mittel und Treffpunkte experimentieren, um tiefe „Gemeinschaftsbindungen“ zu schaffen. Noch besorgniserregender ist aber, dass die weitreichenden Versuche, eine soziale Ersatzwelt zu schaffen, die in kommerzieller Verpackung steckt, größtenteils unbemerkt und unkritisiert ablaufen, trotz ihrer möglichen Konsequenzen für die Gesellschaft. Wenn praktisch jeder Aspekt unseres Seins zu einer bezahlten Aktivität wird, wird das menschliche Leben selbst das ultimative kommerzielle Produkt und die kommerzielle Sphäre wird die letzte Herrin über unsere persönliche und kollektive Existenz.“ (S. 153)