Regine Nahrwold am 8. Januar 2009
Peter Zumthor: „Kolumba“, Köln (Neubau des Diözesanmuseums)
Die Gelegenheiten zu reisen, Museen und Ausstellungen zu besuchen, waren 2008 für mich sehr rar gesät. (Dazu gehörte übrigens „Hannover goes Fashion„, ein tolles Gemeinschaftsprojekt mehrerer Orte in Hannover rund um das Thema Mode und Kleidung mit einer Ausstellung des Exzentrikers Leigh Bowery im Kunstverein als Highlight und der Präsentation von Kunstwerken (sic!) des Modedesigners Helmut Lang in der Kestnergesellschaft als absolutem Flop; feine Entdeckungen dagegen: die Fotoschau der Architektenkammer „Mode Linie Architektur“ im schönen Laveshaus und das Theatermuseum mit der reich bestückten, sehr ergiebigen Präsentation „Filmkostüme! Das Unternehmen Theaterkunst„). Darum freue ich mich sehr, dass ich es Ende des Jahres noch nach Köln geschafft habe, ins Kolumba, das neue Diözesanmuseum von Peter Zumthor.
Mit der für Zumthor typischen äußerst reduzierten Formensprache setzt die mönchisch-karge Architektur auf der Kriegsruine der Kirche St. Kolumba auf. Nähert man sich von hinten und umrundet auf der Suche nach dem Eingang das Gebäude, vermitteln bereits die Fassaden einen Eindruck von der Strenge und Klarheit des ganzen Baus, von seiner spröden Schönheit und von der Sensibilität, mit der er auf die vorhandene alte Bausubstanz eingeht, etwa mit den verputzten Backsteinen oder den wiederkehrenden Feldern von unregelmäßig verteilten kleinen Fenster-Querschlitzen. Eine Überraschung für das Gefühl hält dann die Eingangstür bereit:
Die Stahlstangen zum Öffnen sind mit einer Lederschnur umwickelt und bieten sich auch im Winter der Handfläche als angenehm griffig und warm dar. Dieser haptische Willkommensgruß ist mehr als ein schönes Detail: er ist zugleich an dieser exponierten Stelle des Übergang von außen nach innen paradigmatisch für die Kombination moderner, klarer, „kalter“ Materialien mit glatter Oberfläche – Glas, Stahl, Stein – mit natürlichen, warm und lebendig anmutenden wie poliertem Beton, Leder, Seide und verschiedenen Hölzern aus aller Welt. Innen heben sich Verkaufsthresen, Bücher- und Postkartenregal mit Eukalyptus- und Rosenholzfurnier als ebenso kompakte wie kostbare Schreine, als eigenständige architektonische Gehäuse vom neutralen grauen Grund der Wände und Böden ab. (Außerdem erinnern sie daran, dass Zumthor mit einer Lehre als Möbelschreiner begonnen hat, woher nicht nur sein feines Gespür für Materialien und ihre sinnlichen Qualitäten rühren dürfte, sondern auch die unglaubliche handwerkliche Präzision und Sorgfalt seiner Bauten.) Die Garderobe, die man durch einen schweren Ledervorhang betritt, ist komplett holzvertäfelt, und es gibt im Erdgeschoss Türen mit Furnier aus nordamerikanischem Mammutbaum. Ein Steg aus afrikanischem Padoukholz überbrückt die Ruinen im Grabungsbereich von St. Kolumba; dieser ist vom Erdgeschoss aus zugänglich, genau wie der Innenhof mit japanisch wirkendem Steingarten und ausgesucht schönen Bäumen, in den hinein sich der Innenraum durch eine breite Glasfront öffnet.
Über eine sehr schmale, sehr hohe Treppe (ähnlich wie im Kunsthaus Bregenz) steigt man hinauf zum ersten Geschoss. Der Blick hinauf weckt Ahnung, Spannung, Vorfreude, fast schon so etwas wie ehrfürchtige Erwartung, aber auch Beklommenheit… Ein Handlauf aus Teakholz ist Wegweiser und Begleiter durch diesen kargen „Schacht“ – er fühlt sich wunderbar an, und es ist ein Genuss, das „weiche“, warme Holz zu spüren und die Finger darüber gleiten zu lassen.
In allen drei Geschossen gibt es einen lebendigen Rhythmus von geschlosseneren und offeneren, helleren und dunkleren Raumabschnitten, wobei künstliches und natürliches, punktuelles und diffuses Licht miteinander wechselt oder sich vermischt. Hohe Fensterfronten vom Boden bis zur Decke beziehen die Stadtansichten der Umgebung ein und halten so Blickkontakt zur Wirklichkeit, der man in diesem Haus immer ein Stück entrückt ist. Selbst die Fußböden scheinen – dank Schattenfuge – zu schweben. Zum Eindruck des Schwebenden tragen auch sehr stark die Oberflächenstrukturen bei, seien es die von Wänden, Böden, Decken, seien es die der verwendeten Holzarten (die Sockel der Vitrinen sind in einem gebeizten chilenischen Holz furniert.) Die Grundfarbe Grau wird immer wieder von Braun durchbrochen und belebt, z.B. vom Rehbraun der schlichten, lederbezogenen, wie Tierleiber anmutenden Sitzbänke. Diesen Eindruck wird die Patina noch steigern, die sich allmählich durch die Abnutzung bilden wird! Wie vieles andere hier auch, dürfen die Bänke altern, ohne schäbig auszusehen.
Fast wie im Inneren eines überdimensionalen Kerns fühlt man sich schließlich im Lesezimmer, einem Ort der Ruhe, der Stille und Entschleunigung; es ist vollkommen holzgetäfelt. Auf niedrigen Tischen liegen die Kataloge des Hauses zu Ansicht aus; man kann aber auch in den Ledersesseln Platz nehmen, die geknitterten, grauseidenen Vorhangbahnen vor der großen Glasfront beiseite schieben und einfach aus dem Fenster auf die Straße schauen – einem Fenster, das einem riesigen Bildschirm gleichkommt und an das erinnert, was das Bild seit der Renaissance war und seit der Moderne nicht mehr ist: eine möglichst illusionistische Wiedergabe der Wirklichkeit, so, als sähe man aus einem Fenster in die reale Welt hinaus. Dieses Bücherzimmer erschien mir wie der Interieur gewordene asynchrone Raum, zu dem Max Hollein, Direktor des Städel Museums in Frankfurt, das Museum erklärt hat: ein gebauter Gegenentwurf zur sich immer weiter steigernden Hektik und Schnelllebigkeit unserer Zeit.
Die vorherrschenden Farben des Gebäudes, Grau und Braun, kommen nie monochrom vor, vielmehr sind die unregelmäßigen Maserungen von Stein und Holz nuancenreich und in sich vielfältig; so hat man den Eindruck, ein Stück Unendlichkeit sei im Innenraum eingezogen. Diese Oberflächenstrukturen wirken einerseits auf das Auge und den Geist genauso belebend wie Wolken oder Wasser; andererseits sind sie zurückhaltend genug, um der Kunst keine Konkurrenz zu machen. Und die nun präsentiert sich im Rahmen dieser Architektur mit einem ganz besonderen Konzept: Unter weitgehendem Verzicht auf ihre (kunst-)historische Dimension werden alte und zeitgenössische Kunstwerke gemeinsam präsentiert, so dass sie in Wechselwirkung oder in ein Spannungsverhältnis zueinander treten, das eine sein „Licht“ auf das jeweils andere wirft und sie sich gegenseitig erhellen. Da befinden sich z.B. die Geschöpfe auf einem gestickten Antependium mit der Darstellung des Hortus Conclusus aus dem 14./15. Jhdt. zusammen mit Kinderzeichnungen und den „naiven“ Tierplastiken des Bergmanns Erich Boedeker in einem Raum, werden spätmittelalterliche Holzskulpturen der 12 Apostel neben der Installation Tragedia civile von Jannis Kounellis gezeigt, und ein Objekt von Paul Thek schwebt über dem Kosmosbild eines romanischen Fußbodens.
Einmal jährlich wechselt die Dauerausstellung, wird das Haus aus dem Fundus der Kölner Erzdiözese völlig neu bestückt und unter ein Motto gestellt, derzeit: „Der Mensch verlässt die Erde“, nach einer Arbeit von Felix Droese. Der Präsentation geht es nicht darum, dem Betrachter die einzelnen Kunstwerke in ihrem jeweiligen geschichtlichen Kontext verständlich zu machen; sie setzt ganz auf ihre Ästhetik, ihren Geist und öffnet so einen imaginären Raum, den jeder Betrachter mit seinen Gedanken, Vorstellungen, Phantasien, mit seinem Erleben und Fühlen ausfüllen kann: es geht um Transzendenz, um eine quasireligiöse Dimension der Kunst, um ihre Spiritualität. „In ungewohnten Korrespondenzen kreisen die ausgestellten Werke (…) um existentielle Fragen. (…) Keine Themenausstellung also, sondern ein nach ästhetischen Gesichtspunkten erstelltes Netzwerk assoziativer Möglichkeiten von Erinnerung, Phantasie und Glauben.“ (Begleitheft zum 2. Jahr im Neubau, vom 14. 9. 2008 bis 31. 8. 2009)
Das „Kolumba“ ist als Museum weder Musentempel noch Haus für Bildung, Lernen, Wissensvermittlung, schon gar nicht ein Ort für Fun, Events, Edutainment. „Kolumba möchte in Erinnerung rufen: Das Museum ist ein Ort der Langsamkeit, der Konzentration, der spielerisch-kreativen Auseinandersetzung, des Neugierigmachens auf ein Universum des so noch nicht Gesehenen, ein Füllhorn unverbrauchter, staunenswerter, überraschend neuer und ebenso überraschend unvertrauter alter Sichtweisen menschlichen Weltverständnisses in individuellen Bildfindungen. Kolumba möchte ein Panorama für das ausbreiten, ‚was unsere Augen denken‘ (Paul Cézanne), was unser Sehen fühlt, was unser Fühlen hört, was unser Lauschen spricht, was unsere Worte verschweigen.“ (Eine Heimat für die Kunst, Einführungstext der Eröffnungspublikation, 2007)