Regine Nahrwold am 12. Januar 2009
München: Museum Villa Stuck
Nach der Pinakothek der Moderne mit ihrer Riesenrotunde – Wieviel Raum wurde an diese leere Mitte verschenkt, Raum, für den sich dann die Funktionen Shop/Bibliothek, Café u.a. in die Resträume der Zwickel drumherum quetschen „durften“! – und den weiten Hallen, in denen die Werke der Klassischen Moderne zu Briefmarkenformaten schrumpfen, bot die Villa Stuck ein wunderbares, mir sehr willkommenes Gegengewicht: (relativ) klein, persönlich, fein und auserlesen, historisch gewachsen und dabei ganz lebendig und mitten in der Gegenwart. Der prachtvolle Bau, errichtet Ende des 19. Jahrhunderts nach des legendären Malerfürsten Franz von Stuck eigenen Entwürfen als Wohnhaus, Atelier und repräsentative Verkörperung seiner Idee der Einheit von Kunst und Leben, ist schon von außen ein Juwel des – ja, „des frühen Jugendstil“ liegt mir auf der Zunge, aber kann man das sagen?
Einerseits sieht er noch nach Renaissance-Palast aus, andererseits schon nach dem strengen, klaren Jugendstil der Wiener Secession. Insgesamt würde man ihn wohl eher in einem Böcklin-Gemälde lokalisieren als in einer deutschen Großstadt! Das Gesamtkunstwerk, das Stuck da erschaffen hat, ist eine höchst originelle Verbindung von Architektur mit alter und neuer Kunst, in erster Linie antiken Skulpturen und Reliefs (Kopien), die er subtil ausgewählt und untereinander, z.T. auch mit seinen eigenen Bildern, im Raum so bedeutungsvoll in Beziehung gesetzt hat, dass eine ganz eigene Ikonographie dabei entstand. Viele der Gipsabgüsse hat er selbst farbig gefasst und sich damit deutlich vom Bild der klassischen Antike abgesetzt. Im Vokabular von Nietzsches Geburt der Tragödie… (1872 das erste Mal erschienen) könnte man sagen: er hat ein apollinisches, klassisches Antikenbild hinter sich gelassen und sich einem mehr dionysischen, archaischen zugewandt, das von Musik und Tanz, Farbe und Bewegung getragen ist, in dem zarte Stoffe und plissierte Gewänder mit schön gewellten Säumen die Körper der Frauen umfließen und umflattern; auch Animalisches und der Tod haben einen Platz darin. (Die Ikonographie des Musikzimmers nimmt mit den gegenüberliegenden Orpheus- bzw. Panwänden auch explizit auf Nietzsche Bezug.)
Zu den Kunstwerken kommen im Inneren hinzu: eine überaus reiche Ornamentik, Fußbodenmosaiken, Wandbilder sowie marmorne und seidene Wandverkleidungen und -bespannungen, seidene Vorhänge, zierliche, ebenfalls von Stuck selbst entworfene Sitz- und Liegemöbel, Spiegel und – nicht zuletzt – das Licht. Ist das Atelier im 1. Stock groß und hell, so sind der Empfangssalon und das Musikzimmer im Erdgeschoss fensterlos und in eine geheimnisvolle Halbdämmerung getaucht. (Diese Räume sind als einzige noch im Originalzustand erhalten, die angrenzenden, Boudoir und Rauchzimmer, wurden im Krieg schwer beschädigt und später als Ausstellungsräume modernisiert.) Ich gestehe hiermit, dass ich die Gemälde Franz von Stucks – z.Zt. in einer großen Sonderausstellung zu sehen – nie mochte und sie immer noch nicht mag, dass ich sie vielmehr nach wie vor sehr schwülstig finde. (Und mal ehrlich: jemand, der sich eine „Enthauptung Johannes des Täufers“ über den Kamin hängt und seinem eigenen Gemälde „Die Sünde“ in seinem Atelier einen Altar errichtet, der ist schon ziemlich crazy, oder?) Aber hinsichtlich des Gesamtkunstwerkgedankens von Stucks ist mir in diesen Interieurs wirklich ein Licht aufgegangen. Die oberen Zonen der Wände sind von Goldmosaiken überzogen, deren Steinchen im warmen Glühlicht (damals Gaslicht?) aufblitzen, funkeln, schimmern, gleißen… So oder ähnlich stell‘ ich’s mir im Innern der Höhle der Zauberin Circe vor! (Auch eine dieser verruchten Verführerinnen, die auf Schritt und Tritt dem Manne auflauern, um ihn – halb zog sie ihn, halb sank er hin – vom rechten Weg ab- und in ihre demimonde hineinzulocken!)
Im Atelier darüber also die Taghelle des Bewusstseins, der Ratio des denkenden, malenden Mannes – hier unten die nächtliche, erotische Sphäre des Weiblichen, von Musik, Rausch, Traum, Halbschlaf… Und diese Dämmerung unterscheidet sich deutlich von der Dunkelheit in den Wohnräumen eines Franz von Lenbach. Die kommt mir im Nachhinein vor wie der dunkle, schwere Atelierton, um den die Malerei der Gründerzeit bemüht war, um den nachgedunkelten Firnis eines Rembrandt oder Rubens zu imitieren und sich damit den Anschein von Alter, Gediegenheit, Kultur und Geist zu geben. Von Stucks Dämmerung dagegen erscheint mir wie die Nacht in Wagners Tristan und Isolde: „O sink hernieder, Nacht der Liebe“ oder „ertrinken, versinken – unbewusst – höchste Lust“. Und plötzlich leuchtete mir ein, was Kandinsky und Klee zum Symbolisten Franz von Stuck – außer seinem Ruhm und Einfluss – hingezogen haben mag: im Zeitalter des Positivismus, des technischen Fortschritts und der Profitorientierung hat er eine Hinterwelt voller Ahnungen, Andeutungen, Stimmungen geöffnet, einen Weg von der Außenwelt der Realität hin zur Wirklichkeit der Seele beschritten. Damit hat seine Kunst die Ablösung vom Gegenstand mit vorbereitet, das, was Kandinsky das Geistige in der Kunst genannt hat. Und in der Tat zählt Kandinsky in seinem 1911 erschienen Buch seinen Lehrer zusammen mit den englischen Präraffaeliten, mit Böcklin und Segantini, dem Dichter Maeterlinck und den Komponisten Wagner, Debussy und Mussorgsky zu den „Suchern des Inneren im Äußeren“, auf „nicht materiellen Gebieten“ (W. Kandinsky, Über das Geistige in der Kunst, Bern: Benteli-Verlag 1952, S. 50).
Von seinem Erbauer wurde dieses Hause der Kunst, der Schönheit und dem Eros geweiht. Auch heute noch hat dort alles Stil, vom Interieur über die Präsentation von Kunst bis hin zur freundlich-entgegenkommenden Aufmerksamkeit des Personals, zu den Angeboten von Shop und Café, ja, bis hin zum aparten Schmuck des großen Weihnachtsbaums im Foyer. Behutsam und feinfühlig wurden die baulichen Veränderungen vorgenommen, so dass die Villa als Museum über moderne Ausstellungsräume und, in einem der Seitenflügel, sogar über einen großen Sonderausstellungsbereich mit 3 Etagen verfügt, ferner einen Aufzug und ein Café, von dem aus man in den Garten hinausgehen kann; im Keller befinden sich u.a. ein sehr guter Shop mit einer sorgfältig auf diesen Ort hin abgestimmten Auswahl und – très chic! – ein Jugendzimmer (denn was Fränzchen nicht lernt, lernt Franz nimmermehr!). Nicht zuletzt beweist ein reiches Ausstellungs-, Vermittlungs– und Veranstaltungsprogramm aller Gattungen, also Bildende Kunst, Literatur, Dichtung, Musik, Theater, Film: Um Kunst, Leben und Ästhetik des Münchner Malerfürsten am Übergang vom Fin de siécle zur Moderne kann man immer noch unerschöpfliche und aktuelle Themen und Fragestellungen spinnen (Künstlerkult, Liebe und Eros, Zwischen Natur und Abstraktion, Mode/Design, Frauenbild, Mythologie etc.). Und mit denen lässt sich auch heute noch ein differenziertes Publikum gewinnen.