Regine Nahrwold am 23. April 2009
Ausstellung: Laurence Bonvin, „On Location“
Noch bis zum 3. Mai beweist die Ausstellung der Schweizer Fotografin Laurence Bonvin (geb. 1967) im Museum für Photographie Braunschweig, was eine Fotokunst sein kann, die auf den ersten Blick scheinbar „nur“ mit den Mitteln der Dokumentation, der nüchternen Beobachtung arbeitet. Was entstehen kann, wenn die Kamera nicht bloß registriert, sondern sich hinter ihrem Objektiv ein sehendes Auge und hinter dem Auge ein denkender Kopf befindet. Bonvins Blick auf die Welt zeigt, dass diese doch mehr ist als „alles, was der Fall ist“. Er bringt die unterschwelligen Strömungen der Orte, den doppelten Boden der Dinge, ihren Schatten zum Vorschein und zur Verdichtung. Oder erschafft er dieses Darunter/Dahinter doch erst im Erzeugen des Bildes? Denn ein Haus ist ein Haus ist ein Haus, und es ist nichts dahinter…
Das Museum hat das Kunststück vollbracht, auf seiner nicht gerade üppig bemessenen Hängefläche mit fünf Werkgruppen eine Topographie des Ouevres von Laurence Bonvin zu skizzieren und dem Besucher damit ein Maximum an abwechslungsreicher Vielfalt auf kleinstem Raum zu bieten. Darüber hinaus ist es auch noch gelungen, durch die Art der Präsentation das Besondere jeder Werkgruppe herorzuheben und diese so miteinander in Beziehung zu setzen, dass ein einmaliger atmosphärischer Wahrnehmungsraum entsteht. Also das, was nur das Medium Ausstellung ( = Anordnung von Exponaten im Raum) vermag und was seinen „Mehrwert“ gegenüber Büchern und digitalen Medien ausmacht.
„On the Edges of Paradise“ heißt eine 2005/2006 entstandene Serie über geschlossene Wohnkomplexe am Rande Istanbuls für die „höheren“ und besser verdienenden Schichten der Gesellschaft. Was für die Bewohner das Ziel ihrer Wünsche sein mag – weiß das Haus, rot das Dach, grün das Gras, blau so blau der Pool – wird hier entlarvt als der vorgestanzte, eingezäunte, klimatisierte Alptraum: kalt, protzig, geschmacklos und von jedem Lebensboden abgeschnitten. Alles ist neu und sauber und total in Ordnung (solange man nur den Blick über den Zaun nicht riskiert). Außer dem guten Gefühl, was Besseres, unter seinesgleichen und in Sicherheit zu sein, können hier eigentlich nur noch Atemnot, Langeweile und unterdrückte Wut gedeihen… (Von solchen Emotionen war jedenfalls mein erster, sehr starker Eindruck begleitet.)
Diese Bilder hängen, weiß gerahmt und alle im selben Format, auf grau gestrichenen Wänden. Bild für Bild, Tableau für Tableau, Wand für Wand fügt sich ein Gesamteindruck zusammen, in dem auch die leeren, weißen Wände und das verschlossene Fenster einen ganz eigenen Part spielen.
Zur den knallhart ausgeleuchteten „Paradiesrändern“ bildet im Raum gegenüber eine Serie von Nachtaufnahmen den thematischen Gegenpol. Dunkelheit und kalte, künstliche, fahle Lichter verwandeln Ortschaften, Tunnel, Autobahnen, Flugplätzen, Maschinen in eine monströse Unterwelt. Der Schlaf der Sonne bringt Ungeheuer hervor… Das Unwirkliche und Unheimliche dieser Bilder wird noch dadurch betont, dass sie, in unterschiedlichen Formaten unregelmäßig an den Wänden verteilt, vor ihnen zu schweben scheinen.
Gegenüber, im Haupthaus, sind sehr sensible Portraits von Jugendlichen zu sehen. Eine weitere Serie hat Orte um Denkmale in den Blick genommen, das Leben, das diese Monumente wie ein Kristallisationspunkt anziehen. Dabei beeindruckt vor allem der Kontrast zwischen der Harmlosigkeit, Beiläufigkeit dieses Lebens – spielende Kinder, plaudernde Menschen – und der fast schon bedrohlichen Wucht der „Riesen“, die ihren Schatten darüber werfen. Im gleichen Raum befindet sich eine Vitrine mit Aufnahmen jener „Wildnisse“, die man oft in der Umgebung solcher Denkmale, an Park- oder an Stadträndern antrifft, chaotisch sprießendes Gebüsch, für Heimlichkeiten jeder Art bestens geeignet. Ihre romantische Anmutung wird jedoch gebrochen durch kleine und kleinste „Einsprengsel“ von Stadt, Technik, Zivilisation, die immer wieder durch die fein verzweigten Büsche hindurchschimmern.
Ein Interview mit der Künstlerin (Film) rundet die Ausstellung ab.