Regine Nahrwold am 1. Juli 2009
Königslutter: Mahnmal
Bei einem Besuch in Königslutter entdeckte ich das Mahnmal des AWO Psychiatriezentrums (ehemals niedersächisches Landeskrankenhaus) für jene Menschen, die im III. Reich der Euthanasie zum Opfer gefallen sind. Es wurde 2003 als „Weg der Besinnung“ von dem Königslutterer Bildhauer Günter Dittmann geschaffen und liegt versteckt auf einem kleinen, lauschigen Pfad, der oberhalb der 1000jährigen Linde am Westwerk des Doms entlangführt.
Nach wenigen Schritten schon durchschreitet man eine Art Pylon, der von zwei gegenüberstehenden Mauern gebildet wird. Darin sind zwei Reliefs eingelassen, die in Bild und Wort das Geschehen darstellen. Das eine zeigt, mit einem Arzt als zentraler Figur, die Seite der Täter: Arzt, Krankenschwester, einen Bürokraten, der in blinder „Erbsenzählerei“ deutsch-gründlich den Ablauf der Todesmaschinerie dokumentiert, stempelt und besiegelt, sowie – mit einem Zitat aus dem berühmten Bild von Georg Grosz – weitere „Stützen der Gesellschaft„; der Text dazu nennt das bereits wenige Monate nach der Machtergreifung Hitlers erlassene „Euthanasie“-Gesetz (zur Verhütung erbkranken Nachwuchses) und zählt die Lager auf, in denen die Psychiatrie-Patienten getötet wurden (für den Raum Braunschweig: Hadamar, Sonnenstein, Uchtspringe, Bernburg). Das andere Relief ist der Seite der Opfer gewidmet. Dort sind – in der Mitte, groß, als Kontrahentin zum Arzt gegenüber – eine leidende, zu Tode erschrockene Frau zu sehen sowie verschiedene Menschen, die sich abwenden und wegschauen, darunter ein Bischof; dazu der angsterfüllte Brief einer Patientin, der einer Dokumentensammlung von Ernst Klee entnommen wurde.
Geht man durch dieses „Tor“ hindurch, erblickt man einen niedrigen Stein, auf den die Bronzeplastik eines toten Menschen „gebettet“ ist. Und diese in Embryo-Haltung zusammengekauerte Figur mit ihren feinen Händen hat mich zutiefst gerührt. Sie ist einerseits die ziemlich realistische Abbildung eines jener zu Tode geschundenen, ausgemergelten Leiber, die man von den Fotos aus Konzentrationslagern kennt (allerdings kleiner als lebensgroß). Andererseits sind ihr etliche abstrakte Momente „eingewoben“, etwa das Lineament von knochigen Gliedmaßen und straffen Sehnen, die flache Bauchmulde und die Wölbung des Schenkels, nicht zuletzt der schöne Kopf. Dieses traurige und zärtliche Bild des Todes erschien mir zugleich als ein Bild der Erlösung von den Schmerzen eines langen, qualvollen Sterbens – endlich…
Eine Gedenktafel beschließt das Mahnmal. Übrigens haben alle 7 psychiatrischen (ehemals Landes-)Kliniken in Niedersachsen solche Mahnmale geschaffen, offenbar nach der von Ursula von der Leyen initiierten Privatisierung. Diese Vermutung legt zumindest die folgende Homepage nahe: http://www.gedenken-ns-psychiatrie.de/standorte.html.
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