Regine Nahrwold am 12. Oktober 2009
Baudelaires und anderer Leuchttürme
Leuchttürme stehen an Küsten oder auf Inseln. Sie überragen alles andere auf dem flachen Land und senden Licht aus, um Fischerbooten und Schiffen bei Dunkelheit Orientierung zu bieten. In der Kulturlandschaft drängen sich mittlerweile sehr viele Leuchttürme von sehr vielen Kommunen, Institutionen, Unternehmen, Stiftungen, Initiativen, Vereinen, Museen, Theatern, Festivals und und und… Manchmal bilden diese Leuchttürme ganze Wälder, da strengen sich viele gewaltig an, um die größten zu sein, zuerst gesehen zu werden und von weit her möglichst viele Besucher anzulocken. Andere begnügen sich von vornherein mit einem kleineren Wirkungsgrad. Auf manchen Leuchttürmen wird konstant eine warme, verlässliche Glut genährt, andere blinken hin und wider auf, und wieder andere brennen ab und zu hinreißende Feuerwerke ab. Es gibt aber auch Leuchttürme, …
in deren Schatten nichts mehr gedeiht, die anderen mit viel ressourcenverschlingendem, künstlichem „Glamour“ laut, schnell und schrillbunt das Wasser abgraben. Schade, schade, denn gerade Kunst und Kultur leben von Vielfalt und Unterschiedlichkeit. Und vergessen wir bei all dem nicht, woher die Metapher des Leuchtturms stammt, und dass auf die Dauer nur leuchtet, wer den „test of time“ besteht:
Charles Baudelaire
Die Leuchttürme
Rubens, der Trägheit Garten, des Vergessens Bronnen,
Ein Lager blüh’nden Fleisches, der Liebe leer,
Doch so von Leben und von Glut durchronnen
Wie von der Luft das All, das Meer vom Meer.
Leonard da Vinci Spiegel tief und dunkel,
Wo Engel lächeln süss und rätselschwer
Aus Fichtenschatten, grünem Eisgefunkel
Von ihrer Heimat Gletschergipfeln her.
Rembrandt, das Haus der Traurigen und Kranken,
Von einem hohen Kruzifix erhellt,
Gebete, Seufzer überm Unrat schwanken,
Ein kalter Schimmer jäh ins Dunkel fällt.
Buonarroti, fern, wo Riesenschatten schweben,
Wo Herkules mit Christus sich verband,
Gespenster steil aus ihrer Gruft sich heben,
Mit starrem Finger fetzend ihr Gewand.
Der in des Pöbels Wut, des Fauns Erfrechen,
Der Schönheit fand selbst in der Schurken Reich,
Puget, du grosses Herz voll Stolz und Schwächen,
Der Sklaven König, kummervoll und bleich.
Watteau, ein Fest, wo Herzen leuchtend irren,
Den Schmetterlingen gleich, ein Faschingsball,
Lieblicher Zierat, Glanz und Lichter schwirren
Und Tollheit wirbelnd durch den Karneval.
Goya, ein Nachtmahr, ferner wirrer Schrecken,
Leichengeruch vom Hexensabbat weht,
Wo, lüsterner Dämonen Gier zu wecken,
Die nackte Kinderschar sich biegt und dreht.
Und Delacroix, Blutsee, wo Geister hausen.
Im Schatten tief, der Himmel schwer wie Blei,
Wo durch die trübe Luft Fanfaren brausen
Seltsamen Klangs, wie ein erstickter Schrei.
Dies alles, Fluch und Lästerung und Sünden,
Verzückungsschrei, Gebet und Todesschmerz
Ist Widerhall aus tausend dunklen Gründen,
Berauschend Gift für unser sterblich Herz.
Ein Schrei ist’s, der da gellt in tausend Stürmen,
Die Losung, die von tausend Lippen schallt,
Leuchtfeuer, das da flammt von tausend Türmen,
Des Jägers Ruf, der durch die Wildnis hallt.
Ein Zeichen, Gott, das wir dir bringen wollen,
Vor deinen Herrlichkeiten zu bestehn,
Glühende Tränen, die durchs Weltall rollen
Und an der Ewigkeiten Rand vergehn.