Regine Nahrwold am 17. November 2009
23. Internationales Filmfest Braunschweig: Meine Filme
Wie schon im letzten und vorletzten Jahr habe ich mir Anfang November eine Woche Urlaub genommen für das Internationale Filmfest Braunschweig mit seinem überreichen Programm und es, als Dauerkartenbesitzerin, mit 3 Filmen pro Tag in vollen Zügen genossen (und heute tun mir die Augen weh)! Einige davon haben mich – zum Teil mit beklemmender Intensität – mitgenommen in ein Stück Leben in anderen Ländern und zu vergangenen Zeiten (Bollywood Hero, Ajami, Morphia).
Ich habe einfühlsame Alltags- und Familiengeschichten von heute gesehen (Pandoras Box, Der Vater meiner Kinder, Die Liebe der Kinder), einen sehr guten Dokumentarfilm (Die Anwälte) und einen phantastisch-spannenden Cyberthriller (Night of the Fighter). Stephen Frears Meisterwerke von berauschender Schönheit und hoher Perfektion, mit Musik des Komponisten Alexandre Desplat (Cherie, The Queen), waren ebenso dabei wie das mit einfachen Mitteln realisierte Regiedebüt von Hannah Schygulla (Alicia Bustamante). Der Film erlebte in Braunschweig im vollen großen Saal des neuen Universum seine Welturaufführung. Die Regisseurin und die von ihr portraitierte kubanische Künstlerin waren dabei, beantworteten nach der Vorführung Fragen, erzählten wunderbar und brachten – angefeuert von einer Mexikanerin aus dem Publikum – sogar gemeinsam ein Lied zu Gehör. Und wir wissen jetzt, dass man in Kuba, wenn jemand einen schlechten Witz erzählt, fragt: „Ist das ein deutscher Witz?“
Nach Hannah Schygulla und Bruno Ganz wurde dieses Jahr der Brite John Hurt mit der (von Sabine Hoppe geschaffenen) „Europa“ geehrt. In der ihm gewidmten Reihe sah ich vier Filme (Love and Death on Long Island, 1984, Die Profikiller, An Englishman in New York). Das Publikumsgespräch mit dem sympathischen, klugen, witzigen Schauspieler gehörte auf jeden Fall zu den Höhepunkten des Festivals, denn er zählt zu den Menschen mit einer guten Balance zwischen ihren Überzeugungen, dem, was ihnen Freude macht, und dem, was ihnen Erfolg einbringt. (Dieses Glück teilt er vielleicht mit seiner berühmten Figur Quentin Crisp aus The Naked Civil Cervant und An Englishman in New York. Bei seiner Dankesrede auf der Gala sagte er, es sei schon ein großes Privileg, sein ganzes Leben lang tun zu dürfen, was man liebt, und am Ende noch einen Preis dafür zu bekommen!)
Den Publikumspreis „Heinrich“ hätte ich gern beim Roadmovie „Bad Day to go Fishing“ von Alvaro Brechner mit der eindringlichen Charakterstudie seiner beiden Portagonisten und seinem tollen Plot gesehen. (Bekommen hat ihn „Der Clown“ von Marco Pontecorvo – Herzlichen Glückwunsch!) Dieser Film teilt sich den 3. Platz meiner persönlichen Hitliste mit „Der wilde Schlag meines Herzens“ von Jacques Audiard, der mich mit seiner Thematik, der Kombination von Gewalt und Musikalität, ein wenig an „Vier Minuten“ erinnerte. (Und wie ich von der rasanten Ansage erfuhr, ist er das Remake eines Lieblingsfilms von Quentin Tarantino, eines B-Movies mit dem Titel „Fingers“ mit Harvey Keitel in der Hauptrolle – hey, lieber Filmfestverein, könnt Ihr den nicht mal in Eurem schönen, neuen Universum zeigen?) Auf Platz zwei setze ich „Seraphine“ von Martin Provost, der in sehr authentisch wirkenden, langsamen, ungeschönten Bildern und mit einer großartigen Hauptdarstellerin (Yolande Moreau) von Seraphine Louis erzählt, dem mit heiligem Eifer malenden Dienstmädchen, das kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs im französischen Senlis vom deutschen Kunsthändler Wilhelm Uhde entdeckt wird. (Aber als er sie mit den Worten „Seraphine, Sie müssen doch malen!“ vom Putzen abbringen will, hält sie ihm einen Ausspruch von Teresa von Avila entgegen: „Wenn Du für Deine Arbeit brennst, kannst Du Gott in Deinen Kochtöpfen finden.“)
Mein Lieblingsfilm dieses Jahres ist jedoch der heitere „Love and Death on Long Island“ von Richard Kwietniowski von 1997, der in der John Hurt gewidmeten Reihe lief. Er bekommt einen eigenen, den nächsten Blogbeitrag.