Regine Nahrwold am 24. Februar 2010
epochal. Meisterwerke des Herzog Anton Ulrich-Museums im Rittersaal der Burg Dankwarderode in Braunschweig
Fünf Räume – fünf Farben: orange, rot, grün, blau, hellgrau reihen sie sich, achsial leicht versetzt, aneinander, die fünf Kuben, die in den Rittersaal im 1. Geschoss der Burg Dankwarderode eingestellt und um seine Säulen herum gebaut wurden. Darinnen, daran und um sie herum: eine Auswahl von 250 Kunstwerken des Herzog Anton Ulrich-Museum Braunschweig. Unter dem Titel „epochal“ präsentiert das Museum, dessen Haupthaus bis 2012 saniert wird, hier für die Dauer von 2 Jahren ein Konzentrat seiner Sammlungen, und das – um’s gleich vorwegzunehmen – ist ganz vortrefflich geglückt.
Die kräftigen Farben der Kuben sind dem Farbspektrum der historistischen Ausmalung des Rittersaales entnommen, in das sie sich so harmonisch einfügen. Jeder von ihnen steht für eine Epoche, in der die Werke entstanden, von der Renaissance bis zur Moderne. Diese wird durch Zeichnung und Druckgraphik aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts – die einzige Abteilung, die auch moderne und zeitgenössische Kunst sammelt – im letzten, dem „white cube“, repräsentiert. Der besondere Clou: die Trennung zwischen den Kunstgattungen, wie man sie aus dem Haupthaus mit den Abteilungen Gemäldegalerie, Kupferstichkabinett und Kunsthandwerk kennt, ist in dieser Ausstellung aufgehoben.
Die Gemälde mischen sich mit Druckgraphiken, Skulpturen, Möbeln, Textilien, Majoliken, Emails, Porzellan und Prunkgeschirren, was das Ganze sehr lebendig und abwechslungsreich macht. Wer die Sammlung aus dem Haupthaus kennt (oder zu kennen glaubt), der entdeckt hier immer wieder neue Perspektiven und Querverbindungen. Altbekanntes erscheint auf einmal ganz frisch und – im besten Sinne – wieder fragwürdig und einer intensiven Betrachtung wert, um aus einem neuen Blickwinkel wieder erobert zu werden. Auch stellen sich ästhetisch sehr reizvolle Bezüge zwischen den Kunstwerken und dem sie umgebenden Raum her, etwa wenn ein Stück venezianischer Reliefspitze des 17. Jahrhunderts oder – im fünften Kubus – Kandinskys abstrakte Formen aus der Lithographieserie „Kleine Welten“ (1922) und Beuys‘ Holzschnitt „Esse“ (1951) mit dem Muster der Fußbodenintarsien korrespondieren.
Aufwändige und langwierige Vorbereitungen sowie besondere Vitrinen waren notwendig, um das Klima im Rittersaal für diesen „Materialmix“ (Malerei auf Holz und Leinwand, Papier, Textilien, Holz) einzurichten. Das Herzog Anton Ulrich-Museum hat diesen Mühen den Vorzug gegeben, anstatt – wie es heute oft bei Umbau- und Sanierungsmaßnahmen gemacht wird – seine Sammlung auf Tournee zu schicken. Und das hat sich gelohnt, auch wenn einige der berühmtesten Werke wie etwa Rembrandts Familienbild oder Ruisdaels „Gewitterlandschaft mit Eiche“ fehlen, sei’s aus konservatorischen Gründen, sei’s, weil sich ihre Ausmaße nicht in den Charakter einer Kabinettausstellung einfügen. Aber auch kleinere Formate wie die wunderbare Gewitterlandschaft mit der dunkel heraufziehenden Wolke von Pieter de Molijn oder „Die Rosstrappe im Harz“ von Pascha Johann Weitsch vermisst man – die Hängefläche ist an diesem Ort nun mal begrenzt.
Orange leuchtet die „Wiedergeburt der Antike“. Das kostbare „Mantuanische Onyxgefäß“, ein um 54 n.Chr. aus einem mehrfarbigen Onyx geschnitztes römisches Salbölfläschchen mit mythologischen Szenen, eine spätrömische weibliche Portraitbüste und eine Kleinbronze aus dem 16. Jhdt. nach der berühmten Reiterstatue des Marc Aurel stimmen auf die Epoche der Renaissance ein. Was da aus dem Geist der Antike wiedergeboren wird, ist das Menschenbild: wir begegnen hier selbstbewussten Individuen, antiken Halbgöttern und Gottheiten in Menschengestalt. Das rätselhaft anmutende, düstere Selbstbildnis des Giorgione als David mit dem Haupt Goliaths (um 1508/10) steht hier für die Bildgattung des Selbstbildnisses, mit dem sich die Künstler der Renaissance emanzipierten und die Kunst vom Stand des Handwerks in einen den Wissenschaften ebenbürtigen Rang erhoben. Der Maler, der die Errungenschaften der Renaissance als Ertrag zweier Venedig-Aufenthalte von Italien nach Deutschland transportierte, Albrecht Dürer, ist mit dem Holzschnitt „Michaels Kampf mit dem Drachen“ (1498) aus dem Zyklus der Apokalypse vertreten. (So ist es jedenfalls zur Zeit; die graphischen Blätter werden wegen ihrer Lichtempfindlichkeit alle 12 Wochen ausgewechselt.)
Die Malerei der Dürerzeit ist in diesem Kabinett mit schönen Beispielen vertreten: neben Lucas Cranachs „Herkules bei Omphale“ und Hans von Aachen „Die drei Grazien“ finden sich großartige Portraits von Braunschweiger Bürgern – der Kaufmann Cyriakus Kale, 1533 gemalt von Hans Holbein, sowie das Ehepaar Reinhard und Gese Reiners, 1569 im Doppelbildnis festgehalten von Ludger Tom Ring. Gegenüber das kleine Selbstbildnis dieses Malers mit Palette, Pinsel und der Inschrift „Seine Kunst ist die getreue Darstellung nach dem Leben“ (1547), daneben das nicht weniger beeindruckende Selbstbildnis des Lucas van Leyden.
Eine für Braunschweig zentrale Figur der Renaissance ist Herzog Heinrich Julius (Regierungszeit 1589-1613). Wir begegnen ihm in einer bronzenen Reiterstatuette von Adriaen de Vries, die das Museum 2009 erwerben konnte – eine eigene Ausprägung des Motivs „Herrscher zu Pferde“, das auf das Reiterstandbild Marc Aurels als Urbild zurückgeht. (Noch einmal werden wir dieses Motiv antreffen im blauen Kabinett zum 18. Jahrhundert, in der Reiterstatuette Ludwigs IVX. von Desjardin.) Zu bewundern sind außerdem seine mit gravierten Beinplatten verzierte Armbrust und die wahrscheinlich in seinem Auftrag angefertigte kunstvolle Kugellaufuhr, die in der Mitte des Kabinetts prangt. Des weiteren finden sich in diesem Abschnitt der Ausstellung Münzen und Medaillons, Majoliken und Emails sowie zahlreiche Kleinbronzen, von denen der „Sitzende Mann“ (Florenz, Ende 16. Jhdt.) mit seiner manieristischen Körperdrehung bereits zum Barock überleitet.
Der Epoche des Barock – hier liegt mit den Sammlungen Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig der Schwerpunkt des nach ihm benannten Museums – sind zwei Kuben gewidmet: in Rot erstrahlt der katholische Barock des Südens; zurückhaltendes Grün wurde für das „Goldene Zeitalter“ des protestantischen Nordens gewählt. Hier findet man Vermeers „Mädchen mit dem Weinglas“ (1658) wieder, daneben Wilhelm Claesz Hedas „Frühstücksstilleben“ (1642) sowie Rembrandts Pendantbildnisse eines Ehepaars der bürgerlichen Amsterdamer Gesellschaft (1633); auch das holländische Landschaftsbild, vertreten durch Gemälde von van Goyen, Rembrandt und Ruisdael, und ein Genre- und Sittenbild wie Jan Steens „Hochzeit des Tobias“ (um 1667) gehören hierher. Im roten Kabinett ist natürlich Rubens` “Judith mit dem Haupt des Holofernes“ der (exzentrische, da an der Außenwand hängende) Mittelpunkt des Ensembles. Dieses wohl großartigste Gemälde des Museum erklärt die Charakterisierung des katholischen Barock als „pathetisch, sinnlich, hochdramatisch“, ebenso weitere Exponate: Orazio Gentileschis und Gerard van Honthorsts Gemälde „Dornenkrönung Christi“ (um 1610/15) und „Der Soldat und das Mädchen“ (um 1622) sowie die Kleinplastik einer klagenden Eva, deren üppigen, nackten Körper Leonhard Kern 1640/45 aus warmem, fein gemaserten Birnbaumholz schnitzte; auch die zwei kleinen, feinen Bilder von Adam Elsheimer, die das Museum besitzt, „Morgenlandschaft (Aurora)“ (1606) und „Pietá“ (um 1603/05), haben hier ihren Platz gefunden.
In Blau folgen dann „Die vielen Gesichter des 18. Jahrhunderts“, darunter repräsentative Fürstenportraits wie die des Herzogs Anton Ulrich von Balthasar Permoser und Hyacinthe Rigaud. Aber auch Landschaften von P.J.F. Weitsch und Philipp Hackert sowie von William Hogarth die köstliche Radierung „Der erzürnte Musiker“ sind hier zu finden, daneben drei kuriose Wachsbilder mit mythologischen und biblischen Szenen von Chr. B. Rauschner; einen Höhepunkt in dieser konzentrierten Schau des galanten Zeitalters stellt Bouchers Bild einer jungen, in einen Liebesbrief vertieften Rokoko-Dame, „Die heimliche Botschaft“ (1767), dar.
Eine Wand des blauen Kubus wurde übrigens entfernt und durch ein beidseitig verglastes „Schaufenster“ ersetzt. Darin prunkt eine Auswahl von (Fürstenberger) Porzellan, von Kaffee- und Teegeschirren und Commedia dell’Arte-Figürchen Simon Feilners bis zu klassizistischen Gefäßen, die die rotfigurige, schwarzgrundige antike Vasenmalerei imitieren. Dieses Schaufenster veranschaulicht die höfische Pracht des 18. Jahrhunderts ebenso wie ein Theaterkostüm dieser Zeit, eine echte Rarität.
„Aufbrüche/Umbrüche. Zeichnung und Graphik von der Romantik bis heute“: Unter diesem Titel wird im letzten, dem hellgrauen Kubus ein Bogen gespannt von – im Augenblick – Goya über J.A. Koch und Ludwig Richter, Daubigny und Menzel bis zur Gegenwart. Diese wird soeben von dem druckgraphischen Blatt „Eltern“ (2002-04) von Maxim Kantor repräsentiert. Max Beckmanns Kaltnadelradierung „In der Königinbar“ (1920) und Marc Chagalls Radierung „Selbstbildnis mit Grimasse“ (1924/25) knüpfen über den Zeitraum von gut fünf Jahrhunderten hinweg an Giorgione, van Leyden und Tom Ring im ersten, orangefarbenen Kabinett an.
Der „white cube“ der Moderne wird immer wieder neu bestückt werden mit wechselnden Blättern, darunter auch solche aus der umfangreichen Sammlung von graphischen Künstlerselbstbildnissen des 20. Jahrhunderts, die das Museum seit 1995 sein eigen nennen kann und die seitdem um zahlreiche, auch jüngst entstandene Neuerwerbungen erweitert werden konnte. So heißt es im Begleitheft zur Ausstellung: „Ein roter Faden im Werk vieler international bedeutender Künstlerinnen und Künstler ist die Suche nach dem rätselhaften Ich im Selbstbildnis. Die auch im 21. Jahrhundert ungebrochene Aktualität dieses Themas führen gezeichnete und graphische Selbstbildnisse von Maria Lassnig, Francesco Clemente, Thomas Schütte und Maxim Kantor eindrucksvoll vor Augen.“
Aussstellungslaufzeit:
11. Dezember 2009 bis Mitte 2012
Ort
Burg Dankwarderode, Burgplatz 4, 38100 Braunschweig
Öffnungszeiten
Di, Do – So 10 – 17 Uhr, Mi 13 – 20 Uhr, Mo geschlossen
Eintrittspreise
Erwachsene 4 €, ermäßigt 2 €, Kinder 4 – 14 Jahre 0,50 €
Publikationen
Ausstellungskatalog, 19,90 €
Begleitbroschüre kostenlos