Regine Nahrwold am 23. März 2010
Ausstellung: Portrait, Portrait, Portrait!
Im Kunstmuseum Wolfsburg schließt sie Ende dieses Monats, im Braunschweigischen Landesmuseum hat sie gerade begonnen, im Sprengel Museum ebenfalls, und in der Landesgalerie Hannover wurde sie soeben bis in den August hinein verlängert: die Ausstellung, die jedes dieser vier Museen in der Region – ist’s Zufall oder Absicht? – in jeweils ganz unterschiedlicher Ausprägung dem Thema Portrait gewidmet hat. Mit rund 150 Exponaten aus eigenem Bestand und einigen Leihgaben, überwiegend aus dem Museum August Kestner, ist „That’s me!“, die Schau in der Landesgalerie Hannover, nicht nur die umfangreichste der vier, sondern handelt diese Bildgattung über einen Zeitraum von etwa 2500 Jahren systematisch und entwicklungsgeschichtlich ab. Dies auf eine Weise, die dem Neuling eine vorzügliche Einführung gibt und für die Kenner der Materie eine solche Fülle an interessanten und schönen Beispielen parat hält, dass auch diese voll auf ihre Kosten kommen. Das Ausstellungsthema ist ja weder neu noch sonderlich originell, bietet aber immer wieder Anlass zu neuen Variationen, wenn man denn aus einem so stattlichen eigenen Fundus schöpfen kann wie hier. Unterstützt wird der Rundgang durch eine geschickte, aber unaufdringliche Hängung und Präsentation der Gemälde, Graphiken, Skulpturen und Vitrinen, ihre Anordnung im Raum zu relativ geschlossenen chronologischen und thematischen Gruppen bei gleichzeitiger Offenheit für das Vorhergehende und das Folgende. So werden immer wieder Sichtachsen und Querverbindungen zwischen weiter entfernten Werken hergestellt, reizvolle Vor- und Rückblicke ermöglicht.
Im Entrée empfängt den Besucher, neben einem erläuternden Text, als Repräsentant der ganzen Gattung das Konterfei des sogen. Herr von Santander, 1621 gemalt von Anton van Dyck. Schönes, kleines Detail: Vier feine, kleine Gemälde an der Wand links neben ihm veranschaulichen die vier anderen Gattungen Historienbild, Landschaft, Genre und Stilleben. Diese lässt man im Fortgang der Ausstellung hinter sich und wendet sich nach rechts, zum Abschnitt „Ordnungskriterien“: Figurenausschnitt und Körperhaltung, Kopfwendung und Blickrichtung, Anzahl und gesellschaftlicher Status der Dargestellten, Interieur und Kostüm, Entstehungsabsicht und Funktion – diese Parameter verdeutlichen so unterschiedliche Beispiele wie das Bildnis des Malers Wihelm Leibl als römischer Gladiator (von Ludwig Corregio 1865, offenbar in einer Ateliersituation an der Akademie gemalt), ein Ganzfigurenbild der Hannoveraner Bildhauerin Elisabeth Ney (1860 von Friedrich Kaulbach) oder das Doppelportrait der Eltern des Malers Wilhelm Ahlborn, als Tondi nebeneinander auf ein extremes Querformat gesetzt; in einer Vitrine darunter zwei Gipsformen für den Guss von Medaillen Herzog Ernst Augusts – keine überragende Kunst, im Zusammenhang mit der Rundform und der Memorialfunktion aber bemerkenswert. (Spitzenwerke mit weniger qualitätvollen Arbeiten, berühmte Künstler mit lokalen Größen zusammen zu zeigen, ist eben ein großer Vorzug einer gattungsgeschichtlichen Ausstellung, die in der ganzen Fülle ihrer Ausprägungen erst abwechslungsreich und lebendig wird.) Johann Erdmann Hummels Freundschaftsbild von 1818/20 vereint eine Herrenrunde beim Schein des Mondes sowie etlicher Kerzen und Lampen um ein Schachspiel im Berliner Palais Voss und führt dabei raffinierte Perspektiven, Spiegelungen und Lichteffekte vor.
Der Abschnitt „Ägyptische Anfänge – antike Wurzeln“ bringt ägyptische und römische Portraits – en miniatúre auf Mosaikglas, Münzen, Medaillen, Gemmen, Siegelringen und einer Tonlampe – zusammen mit Renaissance-Bildnissen (Raffael, Bronzino) und macht dann einen Sprung ins 20. Jahrhundert: Zwischen zwei Versionen des Kopfes der jungen Sent M’Ahesa auf langem Hals, reduziert auf das Wechselspiel von plastischen Volumen und klassisch-elegantem Lineament (Ton und Bronze, 1917 von Bernhard Hoetger) schaut ein Selbstbildnis von Paula Modersohn-Becker zurück auf ein Mumienportrait (2. Jhdt. n. Chr.) wie auf eine frühe Ahnin.
Weiter geht’s über das neuzeitliche Portrait (Stifterbildnis, Cranachs Luther, Dürer) zur Neuerfindung des Portraits in der Renaissance, seiner Inszenierung im Barock sowie eine lange Reihe von Herrscher- und Adelsbildnissen bis zur Moderne, die hier bei Lovis Corinth und dem Freilichtmaler Max Liebermann endet. Nach – vermutlich – Maßgabe der verfügbaren Exponate wurde mal ausgiebiger verweilt, mal im Zeitraffer mit großen Schritten vorgegangen. Immer wieder aber wird der chronologische Ablauf durchbrochen von spannenden, kleineren thematischen Einheiten wie „Das Portrait im Portrait“, „Tierportrait?“ oder „Die Entdeckung des Anderen: Afrikaner, Amerikaner und Südseeinsulaner im Portrait“. Da verblüfft vor allem das Bild des Peruaners Don Luys Guaman Titu Yupanqui Chiguan Topa im steif-zeremoniellen Habit des europäischen Edelmannes (Ende 18. Jhdt.) wie schon zuvor die Darstellung der Prinzessin Maria Josepha (1701/02), die bereits als Kleinkind ins volle „Ornat“ der repräsentativen Hofkleidung gezwängt wurde. Eine wahre Augenweide ist ein großes Tableau mit druckgraphischen Künstlerportraits und -selbstbildnissen, gruppiert um die Tänzerinnen Lola de Valence (von Edouard Manet) und Anna Pawlowa (von Ernst Oppler); eine besonders schöne Zusammenstellung ein großes, helles Selbstbildnis des alten Max Slevogt in warmen Gelb- und Brauntönen neben einem kleinen Bild in ähnlichen Farben von Paula Modersohn-Becker, die ihr junges Gesicht dunkel im Gegenlicht vor einem Fenster malte.
Bücher, Filmausschnitte, ein Sammelalbum mit Portraits berühmter Schauspielerinnen, Wahlplakate und ein großes Foto der Familie Obama verweisen auf die Fortsetzung der Gattung in neueren Medien. Wem’s Spaß macht, der kann sich am Schluss mit Photo Booth von Apple Macintosh selbst fotografieren und sein Bild einer digitalen Versammlung der Portraitierten hinzufügen. Und dann weitergehen zum benachbarten Museum Sprengel, wo mit der Ausstellung Das andere Ich – Der andere Du aus den Beständen der Graphischen Sammlung eine wunderbare Fortsetzung wartet: Die Blätter von Picasso, Beckmann, Kollwitz, Nolde und weiteren Expressionisten, von Andy Warhol, Franz Gertsch, Chuck Close, Carl Fredrik Reuterswärd, Dieter Roth, Niki de St. Phalle und anderen ergänzen die Schau des Landesmuseum um die dort fehlende Epoche der Klassischen Moderne und der Nachkriegszeit.