Regine Nahrwold am 26. Mai 2013
Anne Haring & Babette Martini: Kopf und Hand
Die Ausstellung der beiden Bildhauerinnen ist noch bis zum 9. Juni in der Torhausgalerie des BBK Braunschweig in der Humboldtstraße zu sehen, Öffnungszeiten: Mi, Fr. 15-18 Uhr, Do. 15-20 Uhr, So. 11-17 Uhr.
Babette Martini
Anne Haring
Ein Auszug aus meiner Rede zur Ausstellungeröffnung:
Anne Haring hat in den 1980er Jahren an der Düsseldorfer Akademie Bildhauerei studiert und an lebensgroßen Figuren gearbeitet. Zum Schüsselerlebnis wurden für sie ihre Arbeitsaufenthalte Anfang der 1990er Jahre in der Uckermark bei dem ostdeutschen Bildhauer Lutz Dölle. Er brachte ihr das Bronzegießen bei, auf eine einfache, archaische Weise, in seinem Garten, wo die Gussform in die Erde vergraben, die Bronze über einem Kohlefeuer in einem Tiegel erhitzt wurde. In der kunsthistorischen Tradition kennen wir den Bronzeguss gemeinhin als technischen Vorgang, den der Gießer, ein hoch spezialisierter Handwerker, im Auftrag des Künstlers ausführt, um das in Ton oder Wachs vollendete Werk in das edle und haltbare Material Bronze zu übersetzen. Der Bronzeguss in diesem traditionellen Sinn interessiert Haring aber nicht. Ihre Güsse sind verlorene Güsse, das heißt: das Modell aus Wachs wird vernichtet durch die Berührung mit der heißen, flüssigen Bronze, die das Wachs verdrängt. So ist jeder Guss ein Unikat, geformt durch den Gießvorgang als gestalterischen Prozess mit allen Zufällen, mit allem, was in der Regel als Fehler gilt. Der Gießvorgang ist kein handwerklich-logisch-rationaler, sondern ein energetischer Prozess. Bilden, Gestalten und Gießen sind eins. Jeder Guss wird so wie er aus der Form kommt, roh, belassen, mit Gusshaut und allen farbigen Changierungen, mit sämtlichen Unebenheiten der Oberfläche, die normalerweise geglättet und poliert werden. Obwohl fest, ist ihm das Fließende von Wachs und Bronze, das Anne Haring vom Aquarellieren vertraut ist, noch anzusehen. Auch werden die Gusskanäle nicht entfernt, sondern in das künstlerische Konzept einbezogen, wo sie für das Weiterleiten von Energie stehen.
Auch Babette Martini arbeitet mit Güssen, wobei für sie besonders der Aspekt der Vervielfältigung eine Rolle spielt. Aber so wenig wie für Anne Haring der perfekte Bronzeguss, so wenig sind für sie geclonte Wiederholungen eines Modells von Interesse. Auch für sie ist das Gießen und Brennen ein Gestaltungsvorgang, die Kunst eine Erfahrung, die vor Denken, Sprechen und Bewusstsein in ein Gebiet des unmittelbaren physischen Empfindens gehört. Die Hand fasziniert sie als Vertreter der menschlichen Interaktion mit der Umwelt, als Instrument der Transformation. Außerdem fand sie in der Industrieregion Wales vieles aus ihrer Heimat, dem Ruhrgebiet, wieder. Dafür stehen bereits die drei gewaltigen, auf der Basis grober Arbeitshandschuhe geschaffen Fäuste hier unten – „Alle Räder stehen still, wenn mein starker Arm es will!“
Wie eine Versuchsanordnung führt Martinis Hände-Serie metamorphosenartig vor, wie Ton und Gips im Brennvorgang mit- und aufeinander reagieren – ein Prozess, an dem auch der Gasofen mit seiner ungleichmäßigen Hitze seinen gestalterischen Anteil hat. Die Hände hat die Künstlerin in Ton geformt, dabei brennbare Materialien wie Papier, Stoff, Watte einbezogen, und dann in Gips getaucht. Der Brand bewirkte nicht nur die Härtung, sondern auch das Verfließen des Gipses und Leerstellen dort, wo Material ausgebannt worden war. So entstanden fragmentarische plastische Formen mit schrundiger Oberfläche. Sie strahlen – wie auch die Arbeiten von Anne Haring – eine Unvollkommenheit, Vergänglichkeit, Verletzlichkeit aus, die auch emotional berührt.
Weitere Bilder:
Anne Haring
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