Regine Nahrwold am 31. Mai 2013
Gilbert Holzgang: „Vier Tage im Mai“
Dieses Jahr feiert die Stadt Braunschweig ein 100. Jubiläum: Am 24. Mai 1913 heiratete Ernst August III. von Hannvor Prinzessin Viktoria Luise, die einzige Tochter des preußischen Königs und Deutschen Kaisers Wilhelm II. Die Hochzeit schloss den jahrzehntealten Graben zwischen den Häusern Hohenzollern und Hannover. Sie war gleichzeitig auch das letzte große Zusammentreffen europäischer Souveräne vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs.
Nun sind mir Vicky Lou, Ernst August und der europäische Hochadel herzlich schnuppe. Erfreulich an der Sache ist aber: Das Jubeljahr beschert uns ein wahres Füllhorn an Kulturveranstaltungen! So dicht sind sie gesät, dass ich leider schon den Vortrag des Historikers Klaus-Erich Pollmann zur reichspolitischen Bedeutung der Hochzeit (die hätte mich schon interessiert) versäumt habe, weil ich mir an dem Tag die grandiose Aufführung der Gurre-Lieder von Arnold Schönberg angehört habe. Am 27. Mai fand im Kunstverein Braunschweig die Podiumsdiskussion „Wohin treibt die Kunst?“ statt. Und gestern nun die Uraufführung von Gilbert Holzgangs neuem Stück „Vier Tage im Mai“, eigens zum gegebenem Anlass konzipiert und vom Theater Zeitraum im Festsaal des weiland gutbürgerlichen Ausflugslokals „Gliesmaroder Thurm“ in Szene gesetzt.
Vier Personen im Gastraum einer Schenke: Ein patriotischer, kaisertreuer Wirt (Jürgen Beck-Rebholz), ein sozialdemokratischer Journalist (Björn Jacobsen), eine klassenkämpferische Kellnerin mit Sehnsucht nach der Großstadt Berlin (Kathrin Reinhardt) und eine schöngeistige Klavierlehrerin (Friederike Kannenberg). Man berichtet einander die letzten Neuigkeiten um die Hochzeitsvorbereitungen, diskutiert tagespolitische Ereignisse, liest sich aus der Zeitung vor, streitet, flirtet, zieht sich gegenseitig auf. Die Texte beruhen auf Artikeln, die im Mai 1913 in verschiedenen lokalen und überregionalen Zeitungen erschienen sind und werden – anders als bei den sonstigen Aufführungen des dokumentarischen Theaters von Holzgang – nicht rezitiert, sondern sehr lebendig gespielt. Dazwischen immer wieder Gedichte und freche Gesangseinlagen: Arbeiterkampfliederlieder, Chansons von Claire Waldoff und Schlager – eine Revue zwischen Monarchie und Moderne, zwischen Brilliantdiadem und Reichskanzler von Bethmann Hollweg, zwischen Frauenrecht, Kampf für den Achtstundentag und dem Hungerlohn der Heimarbeiterin für den Spitzenbrautschleier (15 Reichsmark im Monat – Kommt uns das nicht bekannt vor?) Und weil 1913 auch Wagner- und Verdijahr ist und die wunderbare Sängerin Friederike Kannenberg mit von der Partie ist, obendrein noch ein Wesendonck-Lied und eine Verdi-Arie ! Da gab’s denn auch starken Applaus vom begeisterten Publikum.
Die nächten Aufführung am 6., 7., 14., 15. Juni um 19.30 Uhr im Restaurant „Gliesmaroder Thurm“, Berliner Straße 105. Eintritt: 12 Euro (Ermäßigung: 10 Euro) an der Abendkasse, Vorverkauf bei Musikalienhandlung Bartels + Vorverkaufsgebühr. Reservierung bei Gilbert Holzgang.
Heute abend ist dann die Vorführung der ersten Wagner-Biographie (Stummfilm) von 1913 mit einem Vortrag und Klavierbegleitung von Eunice Martins im Universum dran.