Regine Nahrwold am 1. Juni 2013
Filmbiographie „Richard Wagner“ von 1913
Mit der Filmreihe „Kino der Widersprüche – Der frühe Film um 1913“ liefert auch der Filmfestverein Braunschweig einen tollen Beitrag zum „Jahr 1913“. Gestern wurde die erste Filmbiographie Richard Wagners gezeigt, 1913 gedreht zum 100. Geburtstag des Komponisten von William Wauer und Carl Froehlich. Dieser Stummfilm ist nicht nur ein außerordentlich wertvolles historisches Dokument, sondern einer der ersten Filme, für den eigens eine Filmmusik komponiert wurde. Wie der Musikwissenschaftler Professor Christoph Henzel in seinem Vortag ausführte, wurden die Kinos bis dahin meistens aus einem Vorraum mit Drehorgeln o.ä. beschallt, in erster Linie, um Zuschauer anzulocken. Oder es wurde irgendeine beliebige Musik dazu gespielt, die oft gar nicht auf die Story und die Szenen einging. Bei einem Film mit Henny Porten habe ein Zuschauer, als die Schauspielerin aus Liebeskummer ins Wasser ging, gerufen „Henny, nimm den Geiger mit!“
Kurioserweise durften für den Film aus urheberrechtlichen Gründen keine Originalkompositionen verwendet werden bzw. wäre für die Lizenz ein Riesenbetrag fällig geworden (ich glaube, es wurde die Summe von 100.000 Mark genannt – tja, Wagner war eben schon immer etwas kostspieliger). Nun beauftragte man den Schauspieler Guiseppe Becce, den man wegen seiner – wirklich frappierenden! – Ähnlichkeit mit Wagner für die Hauptrolle engagiert hatte, eine Musik zu komponieren, die zwar kein Wagner war, aber wie Wagner klang – sozusagen ein „Me too-Produkt“, wie die Kopien von Markenartikeln heute ja heißen. Und mit z.T. nur kleinen Veränderungen an Melodien, Akkorden, Rythmen usw. ist ihm das wirklich ganz famos gelungen! Die Berliner Pianistin Eunice Martins (die den anderthalbstündigen Film virtuos auf dem Klavier begleitete), gab einige Kostproben zum Vergleich Original-Nachahmung zum Besten. Verblüffend! Man hörte genau, wann „Der fliegende Holländer“, „Lohengrin“ oder „Die Meistersinger“ gemeint waren. Begünstigt wurde der Fake, so Henzel, durch den Umstand, dass die meisten Menschen damals die Wagner-Opern eh nur als Klavier- oder Drehorgelmusik kannten, denn es ging ja nur eine kleine Minderheit von Bildungsbürgern in die Oper. Ansonsten bediente sich Becce auch bei anderen Komponisten wie Mozart und v.a. Beethoven, mit dessen heroischer Musik der Meister geadelt werden sollte.
Der Film selbst war ein konventioneller Episodenfilm, aber sehr kurzweilig. Erstaunlich, von welcher Bewegung die Bilder waren, obwohl die Kamera völlig statisch blieb! Das Wagner-Bild wurde natürlich geschönt: an der Revolution habe sich Wagner nicht aus politischen, sondern nur aus künstlerischen Gründen beteiligt; auch das ehebrecherische Verhältnis mit Cosima von Bühlow blieb außen vor. Die pathetischen Szenen sind heutzutage natürlich von unfreiwilliger Komik. Und unter den Freunden, die einer Nibelungen-Lesung des Meisters lauschten, war sogar – historisch ganz falsch – Nietzsche mit von der Partie.