Regine Nahrwold am 18. Dezember 2013
Christa Zeissig „Neuland“ im Museum für Photographie Braunschweig
„Niemand hat John Berger so gut verstanden wie Christa Zeißig!“ So lautet ein Eintrag im Gästebuch der Ausstellung „Neuland“, die noch bis zum 12. Januar 2014 im Museum für Photographie zu sehen ist. Damit kann nur „Sauerde“ gemeint sein, die wundervoll plastisch-farbigen „Geschichten vom Lande“ des britischen Malers, Kunstkritikers und Schriftstellers John Berger, der seit langem in einem kleinen Bergdorf in Frankreich lebt.
Seit 2002 ist Christa Zeißig für ihr Projekt „Grünes Blut. In Europa – Über Dörfer“ wiederholt in ländliche Regionen im europäischen Ausland gereist, nach Italien, Spanien, Rumänien, Albanien, Ungarn usw. Behutsam hat sie sich mit der Kamera den dort lebenden Menschen genähert und sie auf dem Feld, bei Hochzeiten und Taufen, mit ihren Eseln, Schafen und Ziegen, in ihren Trachten, im Wohnzimmer, in der Taverne und vor der Dorfkirche fotografiert. Entstanden sind sachliche und dennoch einfühlsame Schwarzweiß-Aufnahmen von tiefer Humanität und Respekt im Sinne des Wortes von Friedrich Dürrenmatt „Sei menschlich – halt Abstand!“
Da wirkt nicht der sehnsüchtig verklärende Blick des Großstadtmenschen auf das idyllische Landleben. Das sind Bilder von harter Plackerei, von Armut, Staub und Schmutz, aber auch – trotz alledem – von Stolz, Freude und Gemeinschaft. Diese Leben vollziehen sich abseits des globalen Mainstreams der Flugrouten, Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen. In den peripheren Parallelwelten scheint die Zeit in den 1950er, 1960er Jahren stehen geblieben zu sein, und man mag kaum glauben, dass es sie im Europa des 21. Jahrhunderts noch gibt. Doch überall machen sich auch Spuren von Veränderung und Wandel bemerkbar, vor allem im Konsum: Junge Mädchen posieren in modischen Outfits, an den Häusern eines kleinen Städtchens kleben die Satellitenschüsseln, und eine Kuh steht knöcheltief in Müll und Cola-Flaschen.
Diesen analogen Schwarzweiß-Aufnahmen, von der Künstlerin selbst auf Barytpapier abgezogen, hängen die neueren digitalen Farbfotos, das eigentliche „Neuland“, gegenüber. Sie zeigen menschenleere Landstriche in Italien, Spanien, Dalmatien, über die die mediokren Bauten der Tourismusindustrie, die Requisiten eines Modernisierungs- und Verschönerungswahns regelrecht hereingebrochen sind. Ohne dies zu bewerten, mit einem feinen Gespür für ihre spezifische Ästhetik, ihre Skurrilität und eigenartige Atmosphäre hat Christa Zeißig diese Orte ins Bild gesetzt – gewissermaßen eine Fortsetzung von „In Europa – Über Dörfer“ mit anderen Motiven und anderen fotografischen Mitteln.