Regine Nahrwold am 13. April 2014
Marina Abramovic: „Schmerz in der Kunst…
… ist für mich eine Tür zu einer höheren Bewusstseinsebene, wo das Innere zu leuchten beginnt.“ Das sagt die Künstlerin in einem hochinteresanten Interview mit dem SZ-Magazin vom Freitag dieser Woche. Hier ein Ausschnitt daraus:
Abramovic: (…) Wir fürchten den Schmerz. Wir wollen nur Dinge tun, die wir mögen. Doch wer immer den Weg des geringsten Widerstandes geht, ändert nichts in seinem Leben und dreht sich im Kreis. Man muss im Leben Risiken eingehen, dorthin gehen, wo noch keiner war. Als Kolumbus nach Westen aufbrach, dachte man noch, die Erde wäre eine Scheibe. Er stach mit der Angst in See, irgendwann von der Erde zu fallen, und entdeckte Amerika. Als Künstler muss man bereit sein, von der Erde zu fallen.
Sind Sie jemals von der Erde gefallen?
Abramovic: Natürlich. Das Scheitern ist essentiell. Man muss das Scheitern in sein Unterfangen einbeziehen. Viele Künstler finden eines Tages heraus, was die Gesellschaft von ihnen erwartet, und dann beginnen sie sich zu wiederholen. Dann stirbt die Kunst.
(…)
Was ist gute Kunst für Sie?
Abramovic: Sie muss es schaffen, das Denken in einer Gesellschaft zu ändern. Kunst hat so viele Dimensionen. Jede Gesellschaft hat andere Bedürfnisse, manche brauchen politische Künstler, manche spirituelle. Künstler sind Diener der Gesellschaft. Und ihr Sauerstoff. Sie sollen uns erheben, weiterbringen, nicht runterziehen. Runterziehen ist so leicht.
Im Juni 2014 startet Abramovic eine dreimonatige Performance in der Londoner „Serpentine Gallery“. Dazu sagt sie in dem Interview:
„Ich werde eine Art ‚zeitlosen‘ Raum erschaffen, in dem Menschen Stunden an Zeit mit mir verbringen können. London als Ausgangsort der Kunstmarkt-Blase hat die Kunst in eine gefährliche Lage gebracht: Hier wurde ein Francis Bacon für 50 Millionen Euro verkauft, das steht in keinem Verhältnis mehr. Es geht nur nch ums Geld, die Kunst verschwindet dahinter. Ich werde dieser zynischen Entwicklung die vollkommene Leere entgegensetzen. Das Museum wird leer sein, kein Kunstwerk nirgendwo. Ich wede da sein, acht Stunden am Tag, vir Tage die Woche, denn montags hat die Galerie geschlossen. Ich werde das Museum morgens aufsperren und abends wieder zusperren. Jeder kann kommen. Drei Monate lang.“