Regine Nahrwold am 22. Mai 2014
Atelierbesuch bei Wolfgang Kuhle in Mecklenburg-Vorpommern
Wolfgang Kuhle (Jahrgang 1930) gehört wie Förster und Stötzer zu jener jüngeren Generation von figürlichen Bildhauern der DDR, deren Kunst sich aus dem Dienst einer antifaschistischen Programmatik (Cremer) löste und das Pathos, die Erregung, den Kampf von der Außenwelt in die einzelne Figur hineinverlegte. Sein Lebensthema ist der Torso, den er immer wieder neu erfindet als Ausdruck einer seelischen Befindlichkeit, von Zerrissenheit, Trauer und Schmerz, von Ringen, Stürzen, sich Aufbäumen bis zum aufrechten Dastehen, ja Auferstehen in voller erotischer Schönheit – Mann wie Frau, lebensgroß oder en miniature.
Der Torso ist ja ursprünglich die beschädigte Form, in der viele antike Statuen auf uns gekommen sind, etwa der berühmte Torso von Belvedere, die nur fragmentarisch, als Rumpf überlieferte Figur eines Herkules. Auguste Rodin hat den Torso zur autonomen Kunstform gemacht, und seitdem ist das Infinito ein Paradigma der Moderne geworden, im Sinne des romantischen Dichters Novalis: „Nur das Unvollständige kann begriffen werden – kann uns weiterführen. Das Vollständige wird nur genossen.“ Das Poetische solcher Offenheit ist Kuhle besonders gelungen in jenen kleinen Torsi, deren Formen er sehr feinfühlig den natürlichen Strukturen gefundener Hölzer und Steine abgelauscht hat; auch in seinen Zeichnungen, deren zartes Lineament sich behutsam den Körperformen nähert oder sie aus kalligraphischen Tuschpinselflecken entstehen lässt. Solche Bruchstücke, Schwebungen entziehen sich jeder Verwertungslogik, sei sie politisch, ideologisch oder kommerziell.
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