Regine Nahrwold am 3. November 2015
Literaturnacht: Frank Witzel
Lange Nacht der Literatur im Staatstheater Braunschweig am 1. November 2015, 19.50 Uhr:
Zwischen Hubert Winkels und Frank Witzel bildet der Umfang des 800-Seiten-Romans „Die Erfindung der RAF durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969“ den Einstieg in das Gespräch. „Wie kann es sein, dass Dein Buch nur 800 Seiten hat?“ habe, so Witzel, sein Freund und Mentor Ingo Schulze ihn gefragt. Nun ja, die magische Grenze von 1000 habe der Verlag nicht angestrebt, und der Platz auf der Seite sei sehr gut ausgenutzt. Winkels hat das Werk als eBook gelesen, da habe es 2700 Seiten, und so bekomme man eh ein anderes Verhältnis zum Umfang und zur Zeit.
Wie ist das Buch entstanden? „Aus einer jahrzehntelangen Materialsammlung, aus verschiedenen Perspektiven wird der Sommer 1969 eingekreist. Eigentlich ist es eine Collage aus diversen Texten, und man muss es nicht von vorn nach hinten lesen.“ Außergewöhnlich für einen Roman: dieser hat ein Register, in dem Winkels als häufig vorkommende Stichworte „Gott“, „Jesus“, „Blut“, „Tod“ ausgemacht hat. Das Buch habe also eine starke religiöse Seite, über die bisher aber noch nicht viel gesprochen worden sei.
Witzel liest Auszüge aus einem 60-Seiten Kapitel, in dem ein Theologe dem psychisch kranken, verunsicherten Teenager eine religiöse Interpretation seiner Lieblingsplatte „Rubber Soul“ von den Beatles vorexerziert. „So, nun weißt Du, wie’s geht, versuch den Rest mal alleine!“ Die Anwendung exegetischer Methoden auf die Popmusik – witzig oder ironisch? Immer nah dran an der Existenz des Jungen, so Witzel, dem sich so neue Möglichkeiten zu denken und zu fühlen eröffneten. Die Reibung zwischen Mythisch-Bildhaftem und aufgeklärtem Denken habe er zu Beginn des Schreibens überwinden wollen, dann aber festgestellt, dass das Beste die Annahme oder die Aufhebung im Hegelschen Sinne sei. Terrorismus heiße, die Tathandlung über das Reflektieren zu stellen, unüberlegt in die Tat zu springen, nach der man dann sein ganzes Leben ausrichten müsse – so wie Ulrike Meinhof mit dem Sprung aus dem Fenster der Bibliothek, Andreas Baader nach, in ein Leben als Terroristin gesprungen sei. Das Denken und der Glaube verweigerten sich einer solchen Tat. Winkels brachte es abschließend auf diesen Punkt: „Der Roman ist eine religiöse Erzählung um diesen Tatkern herum.“