Regine Nahrwold am 15. November 2015
„Anonyme Zeichner“ in der Galerie Geyso 20
„Ich verstehe mich weniger als Kuratorin denn als Künstlerin oder Dirigentin eines Orchesters.“ Anke Becker steht vor einem Tisch, der mit Zeichnungen bedeckt ist. Die meisten der etwa 600 Arbeiten, die sie aus 2000 Zusendungen ausgewählt hat, hängen schon an den Wänden der Galerie „Geyso 20“. 2006 hat die Berliner Künstlerin das Projekt „Anonyme Zeichner“ ins Leben gerufen. Einem Aufruf im Internet folgend, kann ihr jedermann jeweils eine Arbeit im Format bis maximal DIN A3 zuschicken. Aus den Einsendungen komponiert sie eine Ausstellung, wobei die Urheber – sie signieren ihre Arbeit auf der Rückseite – anonym bleiben. Alle Zeichnungen sind zum Einheitspreis von 200 Euro erhältlich. Erst nach der Ausstellung wird der Hersteller und seine Herkunft enttarnt.
Wie verändert sich das eigene Urteil, wenn man nichts über die Künstlerinnen und Künstler weiß? Wie entwickelt man selbst eine Definition von Wert, wenn die Preise einheitlich sind? Was ist eine gute Zeichnung? Das sind die Fragen, die Anke Becker interessieren. Sie erhält inzwischen Einsendungen aus aller Welt, und Ausstellungen der „Anonymen Zeichner“ waren schon in Berlin, Basel, Kopenhagen, Zürich, Leipzig, Eindhoven und Rom zu sehen. Über die Zusammenarbeit mit der Galerie „Geyso 20“, die sich über die Beteiligung von Künstlern der Lebenshilfe entwickelt hat, ist Anke Becker besonders glücklich: „Die Künstler hier sind mit einer solchen Hingabe und Intensität bei der Arbeit, da schämt man sich schon fast, wenn man mal fünf Minuten unkonzentriert ist.“
Bei der Hängung lässt sie sich von inhaltlichen oder formalen Analogien leiten, so entwickeln sich „Wolken“ von verwandten Arbeiten, eins leitet zum anderen über, und jede Wand bildet einen großen Zusammenklang wie ein Orchester. An Techniken ist alles vertreten, von Bleistift, Filzstift und Tusche über Farbstifte und Wasserfarben bis zu Collage, Druckgrafik und Genähtem. Und was gibt es in der Fülle nicht alles zu entdecken: Realistisches und Abstraktes, Akribisches, Fantastisches, Bizarres, Irritierendes… Eine gemusterte Socke, Masche für Masche gezeichnet. Ein Mann, am Tisch eingeschlafen, den Kopf auf beide Arme gelegt. Aus verdichteten und gelockerten Strichlagen wächst ein Gesicht heraus. Seltsame Fabelwesen. Strukturen, gebildet aus Linien, Punkten, Kreisen, Streifen, Karos. Es ist eine Lust, zu schauen und zu finden!
Galerie „Geyso 20“, Geysostr. 20, bis 18. 12. 2015, Öffnungszeiten Mo-Fr, 13-17 Uhr. Eröffnung am Freitag, 13. 11. um 19 Uhr. Am 13. und 14. 11., am 2. und 3. 12., sowie am 18. 12. ist Anke Becker vor Ort. An diesen Tagen ist der Kauf der Arbeiten gegen Barzahlung möglich. Ansonsten über das Internet: www.anke-becker.de.