Regine Nahrwold am 6. April 2016
Burga Endhardt und Bernd Rummert im Kunstförderverein Schöningen
Auszug aus meiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung:
Bernd Rummert zeigt Arbeiten, die in der Technik mittelalterlicher Kettenhemden aus ineinander verschlungenen Ringen bestehen – eine Art textiles Gewebe aus Metall, das an harte Schutzpanzer erinnert, bei aller Härte aber zugleich Beweglichkeit ermöglicht. Einer dieser „Kettenhemdstoffe“ liegt auf dem Boden über Glasmurmeln, die minimale plastische Erhebungen bewirken und in ihrem grünlichen Glanz sehr schön mit dem dunklen Metall harmonieren. Die Linie des Drahts wird zuerst Fläche, und die Fläche wird Raum. Sehr schön auch, welche grafischen Strukturen sich durch Verdichtung und Auflockerung der ringe ergeben, wenn man das „Kettenhemd“ auf dem Boden verschiebt. Ein anderes dieser „Kettenhemden“ umspannt einen Tisch, auf den es genau zugeschnitten ist, und erhält durch ihn die Form eines Kubus. Es heißt „duck and cover“ nach einem amerikanischen Trickfilm aus den 50er Jahren, in dem einen kleine Schildkröte Kindern vormacht, wie sie sich im Falle eines Atomkriegs verhalten soll: Ducken und Verstecken – witzig, aber natürlich auch sehr makaber.
Eine weitere Technik, die Rummert anwendet: rechteckige Plättchen aus Stahlblech werden an den Ecken mit vier Löchern versehen und dadurch mit Ringen verbunden. So entstehen Bodenarbeiten, Plastiken mit einer großen Ausdehnung in Länge und Breite, aber mit einer nur sehr geringen Höhe. Andere Arbeiten in dieser Technik lassen sich zu dreidimensionalen Gebilden aufstellen. Dazu inspirierten Rummert die Begräbnisanzüge der chinesischen Han-Dynastie (etwa 208 v.Chr.- 220 n.Chr.), die in Gräbern von Königen und hochstehenden Adeligen gefunden wurden. Sie bestehen aus kleinen Jadeplättchen, die mit Ringen aus Gold, Silber oder Kupfer – je nach Rang des Verstorbenen – verbunden sind. Kopf und Körper des Toten werden davon völlig umhüllt; der Anzug soll eine unversehrte Reise ins Jenseits gewährleisten. Die Technik als auch den Gedanken der Schutzfunktion hat Rummer aufgegriffen und in etwas ganz Eigenes umgesetzt.
Nun zu Burga Endhardt. „Nulla dies sine linea“ heißt ihre Sammlung von kleinformatigen, farbigen Zeichnungen. „Kein Tag ohne Linie“ – dieser Satz geht auf eine Anekdote über den Maler altgriechischen Maler Apelles zurück, die der römische Geschichtsschreiber Plinius d.Ä. erzählt. Apelles hatte sich vorgenommen, keinen Tag vergehen zu lassen, ohne zu zeichnen oder zu malen. An jedem Tag wollte er wenigstens eine Linie ziehen bzw. einen Pinselstrich machen. So dachte auch Burga Endhardt zu Zeiten, da sie wenig Freiraum für das Arbeiten im Atelier hatte: Jeden Tag eine Zeichnung im Format einer Schreibmaschinenseite musste doch zu schaffen sein! So entstand, Blatt für Blatt, ein Tagebuch von farbigen Skizzen voller Spontaneität und Leichtigkeit, locker hingeschrieben aus der Bewegung der malenden Hand: vibrierende Linien, die sich zu Schauern vereinen, Knäuel und Geflechte bilden oder sich in die Fläche hinein ausdehnen. Farbschichtungen und Übermalungen lassen Raumtiefe entstehen, und alles scheint wie von selbst ganz organisch zu wachsen. Immer wieder kehrt Endhardt, wenn sie an großen Gemälden arbeitet, zu solche Lockerungsübungen zurück, um wieder „in den Fluss zu kommen“. Denn große Gemälde in Öl auf Leinwand gibt es natürlich auch, ebenfalls ungegenständlich, von der Natur angeregt, diese aber nicht darstellend. Wie die Maserungen von Edelsteinen leuchten diese Bilder. Oft taucht das Motiv des Geflechts oder Netzwerks auf, aber auch – angedeutet – das Kleid als schützende Hülle oder als schmückende zweite Haut. Ein Motiv, das immer mal wieder beim Malen in ihr aufsteigt, ohne dass sie genau sagen könne, was es bedeute, so die Künstlerin.
Im Graphit, das wir im normalen Leben als Bleistift kennen, hat Burga Endhardt ihr eigentliches Ausdrucksmittel gefunden und darin, wie ich finde, etwas ganz Eigenes geschaffen, das ich so noch nie gesehen habe. Auf lange Bahnen aus Transparentpapier trägt sie an wenigen Stellen dünnflüssige Farbe auf, die das Papier sich wellen und wölben lässt. Um diese Farbflecken herum bedeckt sie dann den ganzen Papiergrund gleichmäßig mit Graphit. Einzelne Striche sind nicht mehr zu erkennen, es entsteht eine geschlossene, metallisch glänzende Oberfläche, die uns „an exotische Hüllen und Häute, an Schalen und Folien erinnern“ kann (Jochen Meister). Das metallische Glänzen verbindet diese Arbeiten ebenso mit denen von Bernd Rummert wie das feine plastische Relief, das sich durch die Wellungen des Papiers ergibt.
Am Ende die Engführung von Bodenarbeiten beider Künstler. Hart und schwer wie ein Schienenstrang die Arbeit von Rummert, daneben Endhardts zarte, leichte Bänder, die in zwei Graphitarbeiten münden wie in windgekräuselte Teiche. In meinen Augen eine schöne Quintessenz dieser gemeinsamen Ausstellung.