Regine Nahrwold am 15. Juni 2016
Ausstellung „Process, Performance, Presence“ im Kunstverein Braunschweig
Am Anfang ist die Blume. Bis zu 64 Tonschalen, jede vom Durchmesser einer Pizza und bepflanzt, treiben auf einem künstlichen Teich im Hof des Kunstvereins umeinander – „Pizza Pond“ von Christian Philipp Müller ist die erste Arbeit, die den Besucher von „Process, Performance, Presence“, der aktuellen Gruppenausstellung von 16 internationalen Künstlern, empfängt. Assoziationen an Seerosenbilder von Claude Monet stellen sich ein. Doch hier werden die unterschiedlichsten Arten von Kapuzinerkresse wachsen, wuchern und in ihren feurigen Farben erblühen.
Im Foyer des „Salve Hospes“ hat Luva Trevisani Blumen mit farbigen Kordeln zu einem kunstvollen Gitter verflochten, darunter Paradiesvogelblume, Lilie, Amaryllis und Fensterblatt (welche Namen!). Einige blühen und duften noch, andere welken und trocknen bereits, wieder andere wurden zuvor eingefroren und sind im Auftauen erbleicht. Benannt ist dieses Werk nach James Hiram Bedford, dem ersten Menschen, der sich nach dem Tod in der Hoffnung auf eine zukünftige Wiederbelebung einfrieren ließ. Es ist ein Sinnbild für den Prozess des Lebens, dem von Anfang an das Sterben innewohnt, und den vergeblichen Versuch, ihn aufzuhalten.
Außer diesen beiden jedoch lösen nur noch wenige Arbeiten der Ausstellung das Versprechen des Titels ein, Veränderungsprozesse und die Gegenwart des Augenblicks sichtbar zu machen. (Und wie auch? Werke der Bildenden Kunst sind nun einmal…
… das Resultat eines Entstehungsvorgangs, den sie zwar an sich selbst anschaulich machen können, doch sie selbst sind zumeist statisch.) Brad Trommels „Live/Work“ zum Beispiel, acht überdimensionale Ameisenfarmen, die als transparente Plexiglasquader im Spiegelsaal von der Decke hängen. Gefüllt sind sie mit farbigen Gelmassen, durch die sich Ameisen ihr weitverzweigtes Tunnelsystem bahnen. Die Farben des Gels entsprechen den Logos von acht US-amerikanischen Non-Profit-Organisationen für Umweltschutz. Diejenige, deren Farbe von den Ameisen am meisten umgeschichtet wurde, erhält am Ausstellungsende zehn Prozent der Einnahmen durch Eintrittsgelder.
Oder „Hoop the Loop“ von Sofia Duchovny und Hella Gerlach: Ein Staubsaugerroboter verteilt Farbpigmente immer wieder anders, pustet quasi ein immer neues Bild in den Raum. Die Pigmente hat Duchovny zuvor durch das Abschleifen der Gemälde anderer Künstler gewonnen. Schirin Kretschmann hat an einigen Stellen bläulich-schwarzes Lederfett in die Wände eingerieben, das mit dem Putz reagiert und in unterschiedlicher Tiefe in ihn einzieht – Felder von wolkigen Grautönen sind so entstanden, die Spuren der Zeit an der Wand aufscheinen lassen. Ihre Arbeit im Garten dagegen setzt, ebenso wie die von Vlatka Horvat, auf das Moment der Partizipation.
Vieles ist fragwürdig, etwa „Seidenstück IV“ von Jens Risch – ein Knubbel von Knoten, entstanden aus einem Seidenfaden von einem Kilometer Länge, in dem sich angeblich Zeit verdichten soll. Mich erinnert er an eine Anekdote von Alexander dem Großen. Vor diesem ließ sich ein Mann mit dem Kunststück sehen, aus größerer Entfernung Linsen in ein kleines Loch zu werfen. Er wurde von Alexander belohnt – mit einem Scheffel Linsen. Den jahre-, ja lebenslangen (!) Prozess dokumentiert Risch penibelst: Jeder Knoten wird mit Datum und Uhrzeit verzeichnet. Doch solche obsessiven Notierungen kennen wir bereits von Roman Opalka oder On Kawara.
Wundern kann man sich über manche Erläuterungen der begleitenden Broschüre. So liest man zu „Instrumental Environments“ von AWST & Walther, einer Installation von Aluminiumröhren, Gittern und ausgestanzten Rasenplatten, um die sich der Besucher herumschlängeln muss: „Die Installation ist mit einer körperlich-räumlichen Erfahrung verknüpft, was das Werk um ein performatives Moment ergänzt und gleichzeitig sowohl ortsgebundene Verhaltenscodes als auch den Einfluss künstlicher Raumkonstruktionen auf Bewegungen und Handlungen kritisch hinterfragt.“ Doch was, zum Teufel, ist daran kritisch? Fazit insgesamt: Viel Konzept und Wortgeklingel – manches Interessante, doch insgesamt fürs Auge eher dürftig. (Öffnungzeiten: Di-So 11 bis 17 Uhr, Do 11-20 Uhr. Ein umfangreiches Begleitprogramm mit Performances, Vorträgen und einem Dokumentarfilm über Eva Hesse auf http://www.kunstverein-bs.de/ )