Regine Nahrwold am 23. Oktober 2016
Ausstellung: „Die Xylothek als Bibliotheksinstallation“ von Marion Gülzow im Allgemeinen Konsumverein Braunschweig
„Wenn eine Bibliothek ein Spiegel des Universums ist, dann ist ein Katalog das Spiegelbild dieses Universums.“ Dieser Satz aus Alberto Manguels Roman „Die Bibliothek bei Nacht“ zieht sich einmal quer über die Wand des großen Ausstellungsraums im Allgemeinen Konsumverein. Kataloge liegen aus, auf einem Sockel wartet einsam ein Karteikasten. Ansonsten: gähnende Leere! Wie jetzt? War das schon alles? Doch mitnichten: Die eigentlich Kunst, die „Xylothek als Bibliotheksinstallation“ von Marion Gülzow ist im kleinen Nebenraum umso dichter komprimiert. Die Hannoveraner Künstlerin ließ sich inspirieren von der ab 1780 geschaffenen Xylothek von Carl Schildbach, heute im Naturkundemuseum in Kassel zu bestaunen. Schildbach dokumentierte sämtliche Holzgewächse der Gegend um Kassel in 530 „Scheinbänden“: Aus Holz und Rinde jeder Baumart wurde eine Art Buch hergestellt, ein Kasten, der in seinem Inneren die Blätter, Blüten und Früchte des jeweiligen Baums sowie das forstbotanische Wissen dazu bewahrt.
Die Initialzündung kam 2006 in Gestalt einer Umzugshinterlassenschaft von 50 leeren Zigarrenkisten auf Gülzow zu: Damit musste doch was Kreatives anzufangen sein? Hunderte von Buchkästen, sozusagen Biblioboxen, sind seitdem entstanden, samt Zettelkatalog (im eingangs erwähnten Karteikasten). Im Konsumverein harren sie nun, akribisch in drei Regalen aufgereiht, ihrer Besucher.
Schon den Blick über die „Buch“rücken schweifen zu lassen, ist ein Vergnügen: Viele Kästen sind mit schönen Papieren kaschiert, und neben Materialien wie Knöpfen, Steinen, Fell, Fotos und einem Glöckchen machen Titel wie „Du sollst Dich wappnen“, „Preistabelle für Grubenhölzer (zugleich Kubiktabelle)“, „Sinnpause“, „Kopfsteinköpfe“ oder „Im Duett mit Bruchstücken“ neugierig auf den Inhalt. Schriftsteller und Philosophen wie Arno Schmidt, Marcel Proust oder Friedrich Nietzsche haben offensichtlich Pate gestanden. Mit Latexhandschuhen an den Händen darf man jedes Kästchen behutsam herausnehmen, öffnen und einen Blick in die kleinen Kunst- und Wunderkammern werfen: hier warten Fingerhüte im Verein mit einer Efeuranke, dort blaue Glasfläschchen mit Augäpfeln, ein anderes Mal eine Gummischallplatte, Nadeleinfädler, Hölzer, ein gebrauchter Tuschkasten oder die stilisierte Figur eines Kranichs. Die Überraschung ist jedes Mal groß, und man mag gar nicht mehr aufhören, will immer weiter entdecken… Eine zauberhafte Ausstellung, unbedingt ansehen! (Allgemeiner Konsumverein, Hinter Liebfrauen 2. Bis 3. November, Öffnungszeiten: Donnerstag 18.00 bis 22.00 Uhr, Samstag und Sonntag 14.00 bis 18.00 Uhr. An den Sonntagen führt die Künstlerin ab 15.00 Uhr durch die Bibliothek.)