Regine Nahrwold am 10. Januar 2017
Ausstellung ARTcore im Raumlabor Braunschweig
Braunschweig ist um ein neues Kunstereignis reicher: ARTcore, eine Gruppenausstellung im Raumlabor, Hamburger Straße, betritt mit Werken von 37 Künstlerinnen und Künstlern die Bühne der hiesigen Kunstszene. „Wir wollen die kreative Vielfalt der Region zeigen und zwar institutionenübergreifend“, so Stephen Dietl vom Verein ARTcore, der die Ausstellung kuratiert hat. Während normalerweise jede Institution ihre eigenen Künstler ausstelle, beteiligten sich nun Lehrende und Studierende der HBK, Mitglieder des Bundes Bildender Künstler, des Ateliers Geyso20 und der freien Szene. Arbeiten von Arrivierten seien ebenso zu sehen wie solche von jungen Künstlern oder Outsiderkunst. „Dabei wollen wir den Querschnitt der Bevölkerung und auch ein Publikum erreichen, das mit zeitgenössischer Kunst nicht so vertraut ist. Darum bespielen wir den Ausstellungsort vier Wochen lang mit verschiedenen Events.“
Christian Scholz
Den Auftakt machte am Eröffnungsabend Knud Balandis mit seiner Performance „Zeichne mir ein Schaf“. Von Kopf bis Fuß in weißgelocktem Kunstpelz eingehüllt, kroch er bäuchlings über den Boden und kritzelte immer mal wieder auf einem der überall verstreuten Blätter herum. Zum Live Jazz vom „Blue Moon Trio“ besichtigte das Publikum rund 80 Werke der Gattungen Malerei, Skulptur, Zeichnung, Fotografie und Video. Es lässt sich unschwer denken, dass eine solche Mischung äußerst durchwachsen ist. Nicht alles, was auf den ersten Blick groß oder provokant ins Auge springt, hält auch dem zweiten stand, etwa „Zwerg David, Von über mir, Bärmutter“ von Michael Nitsche, „Nation im Herbst“, ein mit schwarzrotgoldenen Plüschtierchen behängter Baum aus Karton von Jens Isensee, oder Friedhelm Kranz‘ kitschiger Jesus, der in roter Leuchtschrift verkündet „I am not dead“. Ein starkes Bild dagegen ist und bleibt „Ain´t that love“, fantastisch gemalt von Ingo Lehnhof. Das Motiv des über und über mit Ejakulat bedeckten Gesichts einer jungen Frau, ein in Pornos massenhaft verbreitetes Motiv, gehört fast schon zum normalen kollektiven Bilderfundus; zu Kunst geadelt, gewinnt es auf einen Schlag seine ganze Obszönität zurück.
Anna Maria Meyer
Auch Anna Maria Meyers „Symbiont“, eine wolkige Form aus blau geglühtem Draht, die große Volumen mit kleinteiligen grafischen Strukturen vereint, hält stand. Genauso überzeugt Christian Scholz‘ „unglaublich nah doch weit gefehlt“, eine Wandzeichnung in Kohle, deren Schwarz-Weiß ein aufmontierter Leuchtkasten ins Medium Licht übersetzt, eine Videoarbeit von Stella Wahlers und „Beati possidentes“ von Marlene Bart. Die Meisterschülerin von Wolfgang Ellenrieder an der HBK hat auf einem Wunderkammer-Regal Gläser mit in Ethanol eingelegten Nahrungsmitteln aufgereiht, die farblich in die konservierende Flüssigkeit ausbluten – glasklar und sehr ästhetisch.
Marlene Bart
Die schönsten Entdeckungen halten die Zeichnungen und kleinen Formate parat. Dazu gehören ein in feinen Gelbgrünnuancen gemalter Tondo von Sascha Dettbarn, zwei Fotografien eines Gletschergipfels von Birte Hennig, die streng linearen Kompositionen von Ina Falkenstern und die federleichten blauen Aquarellkringel auf weißem Papiergrund von Sina Heffner. Mit Witz, Charme und Bleistift umspielt Lutz Möller in einer kleinen Serie einen altmodischen Staubsauger, während Ute Helmbold brillante Illustrationen zu Storms „Schimmelreiter“ zu einem Tableau arrangiert hat. Lienhard von Monkiewitschs in Grautönen gehaltene Arbeit „Zwei Kuben, gegenläufig“ gewinnt, vor der Wand schwebend, durch ihren Schattenwurf eine weitere Dimension hinzu. (Bis 4. Februar, Raumlabor, Hamburger Straße 247, Öffnungszeiten: Mittwoch – Freitag 15-19 Uhr, Samstag und Sonntag 14-18 Uhr; Eventprogramm (Führungen, Konzerte, Lesungen) unter www.artcore-bs.de)
Ute Helmbold