Regine Nahrwold am 24. April 2017
Ausstellung „Frühjahrssalon 2017“ im Schloss Wolfenbüttel
Auch in diesem Jahr präsentiert sich der Wolfenbütteler Frühjahrssalon mit Werken von vier Künstlerinnen und Künstlern wieder abwechslungsreich und spannend: Skulpturen von Anna Maria Meyer, Druckgraphiken von Melanie Schöckel, Malerei von Uschi Korowski und Objekte von Timo Hoheisel, der stärker konzeptionell ausgerichtet ist, füllen die schönen, lichten Räume mit einem breiten Spektrum an Techniken und künstlerischen Herangehensweisen. Besonders schön an dieser Ausstellung ist, dass es zwischen den vier Oeuvres formale Ähnlichkeiten und Analogien gibt, die eins mit dem anderen ästhetisch verknüpfen.
Anna Maria Meyer, 1987 in Wolfenbüttel geboren, reizen biomorphe Formen. Ihre Arbeiten sind im Übergang zwischen Zeichnung und Skulptur angesiedelt. Draht formt sie zu großen wolkenartigen Gebilden, die plastisch und durch die Überschneidung des Maschennetzes zugleich linear-zeichnerisch erscheinen. „Ich versuche immer ein an und für sich schweres Material leicht zu machen“, sagt die Künstlerin. Hier und heute hat sie sich aber auf kleine Formate beschränkt. Von ihrer Begeisterung für Organisches zeugen weiße Formen aus Modelliermasse und Ton mit konvexen und konkaven Rundungen, die an Hans Arp erinnern. Andere Objekte sind angeregt von sogenannten Hühnergöttern. Das sind Feuersteine mit Löchern und Hohlräumen, die man einst an Stalltüren aufhängte, um die Hühner vor Füchsen, Krankheiten und bösen Geistern zu schützen. Die Objekte werden vorgedacht, ihre Gestalt gefunden in feinen Bleistiftzeichnungen, in denen an- und abschwellende, mal hellere, mal dunklere Linien den Eindruck von Plastizität und Räumlichkeit hervorrufen. Besonders faszinierend sind jene Arbeiten, die mit dem 3-D-Stift geschaffen wurden: Eine ideell unendliche, nie abreißende Linie bringt eine Zellstruktur hervor, die ins Dreidimensionale hineinwuchert, sich wölbt, biegt, abknickt. Die dritte Dimension muss dabei von der Künstlerin schon beim Zeichnen mitgedacht werden.
Die Linie finden wir bei Melanie Schöckel als Kalligraphie, in der schwungvoll fließenden Schrift, mit der sie selbstgedichtete Haikus in ihre Graphiken integriert. Die Künstlerin, Jahrgang 1973, studierte an der Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim Druckgraphik, Illustration, Kalligraphie sowie Freies Malen und Zeichnen. Ihre freie künstlerische Arbeit ergänzen seit 2007 verschiedene Lehrtätigkeiten an Schulen, Bildungseinrichtungen und im eigenen Atelier in Klein Flöthe. Mit ihren Künstlerbüchern und Leporellos ist sie auf Buchmessen vertreten. Höchst phantasievoll experimentiert sie mit den Techniken Monotypie, Lithographie und verschiedenen Verfahren der Radierung: Ätz- und Strichradierung, Kaltnadel, Aquatinta, Vernis mou und Zuckeraussprengverfahren. Sie wendet z.B. eine Methode der Lithographie auf Metall an, bei der Coca-Cola die Rolle übernimmt, die in der Steinlithographie der Salpetersäure zukommt. Mit diesen Mitteln schafft sie einen kleinen, vielfältigen Kosmos zwischen Linien, Flächen und reichen Abstufungen von Grautönen, die als Farbwerte wahrgenommen werden. Auflagendrucke gibt es bei ihr nicht, jeder Druck ist ein Unikat. „Federleicht“ ist Melanie Schöckels Thema. Das Motiv der Feder, Naturgegenstand ebenso wie Schreib- und Zeicheninstrument, erscheint mal als zarter, heller Flaum, mal als schwarzer oder wolkig-grauer Schatten, mal als scharf gezackter Umriß, mal von der linearen Binnenzeichnung her aufgefasst.
Zwei Werkgruppen präsentiert Uschi Korowski, die Mathematik, Medizin und Biologie studierte und in Elektronenmikroskopie promoviert hat. Bei der ersten Gruppe handelt es sich um Versuchsreihen von
naturwissenschaftlicher Strenge, zwischen exakter Berechnung und Zufall. Nach vorher festgelegten Parametern wie Farbmenge oder Anzahl der Tropfen, lässt sie Tropfen von dünnerer oder dickerer Farbe von oben auf die Leinwand fallen. Je nach Fallhöhe variiert dabei die Form der entstehenden Punkte zwischen klarem Rund und solchen mit ausgefransten Rändern. Die zweite Werkgruppe sind Farbflächen, durchzogen von weißen Feldern und Stegen, die sie vorher abdeckt. Selten benutzt sie bei dieser Malerei den Pinsel, lieber schüttet sie die Farbe, bewegt dann die Leinwand, so dass die Farben verfließen, sich mischen und feinste Übergänge entstehen, die eine Lust für das Auge sind; manchmal schiebt sie die Farben auch mit dem Spachtel vor sich her. Dabei experimentiert sie mit Aquarell-, Gouache-, Acryl- und Ölfarbe an der Grenze zwischen Ordnung und Chaos. „Ich gebe eine Form vor, lasse mich dann aber auf das Spiel mit dem Zufall ein“, lautet ihr Statement dazu. Ihre lebendigen Farbflächen korrespondieren mit den farbigen Grauwerten von Melanie Schöckels Graphiken.
Timo Hoheisel, Jahrgang 1980, studiert seit 2013 an der HBK Braunschweig Freie Kunst, zuerst bei Aurelia Mihai, dann bei Asta Gröting, Dörte Eißfeldt und Sean Snyder. Neben der Fotografie sind Objekte und Installationen ein fester Bestandteil seiner Arbeit. Sein künstlerisches Selbstverständnis umschreibt er selbst so: „Künstler zu sein fängt für mich damit an, ein Alchimist und Forscher zu sein, der sich dem Material über dessen Eigenschaften und dessen Verhalten nähert. Mich als Künstler beschäftigt besonders das Verhältnis zwischen der Materialität und dem Verbergen, Entziehen und Camouflieren von Inhalten. Dies führe ich oft soweit, dass diese Inhalte nur noch gedanklich zugänglich sind.“
Sein großes Bild „Man fucks woman“, ein Lambda Abzug auf Alu Dibond Platte, entstand aus der Langzeitbelichtung (90 Minuten) eines Pornofilms. Ihn reizte die Vorstellung, den Film, der sich über eineinhalb Stunden hinzieht, in einem Moment, einem Bild zu verdichten. Das Ergebnis, eine glänzende Fläche von fein nuanciertem Rosa, verbindet diese Arbeit mit den Farbflächen von Uschi Korowski.
Das Verbergen, Entziehen und Camouflieren von Inhalten geschieht auch in Hoheisels Buchobjekten. Diese stellt er aus Buchblöcken her, die er nach Entfernen des Einbands in Leim gekocht hat – „libri cotti“ sozusagen oder Papiermachée en bloc. „Von jedem erstelle ich eine sechsteilige Form, zerkleinere den Buchblock, koche ihn, gebe Leim hinzu und presse das Material in die erstellte Form“, beschreibt er seine Arbeit. Das Trocknen dauert dann bis zu zehn Wochen. Die Färbung der Oberfläche ergibt sich aus dem Material selbst, der literarische Inhalt verschwindet dabei, höchstens ein Satz oder einige Buchstaben lugen am Ende noch heraus…