Regine Nahrwold am 18. Juli 2017
Ausstellung: Gisela Weiß in der Stadtbibliothek Braunschweig
„Erfahrungen sammeln – in Wäldern – Bergen – Städten – in den Augen der Menschen – in Gesprächen – im Schweigen. Diese Verse der Lyrikerin Rose Ausländer könnten als Motto der malerischen Arbeiten von Gisela Weiß gelten.“ So stand’s geschrieben vor genau zehn Jahren in der Braunschweiger Zeitung. Dass diese Feststellung noch immer zutreffend ist, davon kann man sich nun im Zeitschriftenlesesaal der Stadtbibliothek überzeugen. Dort zeigt die 1947 geborene Künstlerin, die 1976-1989 an der HBK Braunschweig freie Kunst studierte, Gemälde, die zwischen 1982 und 2012 entstanden sind: perspektivisch angelegte Ansichten von Braunschweigs Straßen, auch in abendlicher Beleuchtung, Blicke über die Dächer der Stadt bis zum Dom und zur Martinikirche sowie Stadtlandschaften und Menschengruppen – recht konventionell, aber gute Malerei, solide und sehr gekonnt.
Es überwiegen rostrote, graublaue, dunkelgrüne Farben mit herbstlicher Anmutung, doch in einigen Bildern findet die Malerin mit reinbuntem Rot und Grün auch zu einem expressiveren Ausdruck. Beeindruckend ist eine schweigsam wirkende Gruppe von Männer, Frauen und Kindern, wohl an einer Haltestelle wartend, abstrahiert und mit nur angedeuteten Gesichtern; mit erdigen Tönen ist diese Szene in eine sichere Farbflächenkomposition umgesetzt und bleibt doch menschlich anrührend.
Ein Portrait zeigt Ingeborg Freudenberg, Braunschweiger Original und legendäres Aktmodell der Kunsthochschule mit feuerrotem Haar, in blauer Jacke müde auf dem Sofa sitzend; die Art, wie sie vor gemusterter Tapete in weiche Stoffe und ein warmes grau-blau-grünes Kolorit eingebettet ist, erinnert an Gemälde von Edouard Vuillard.
Die Straßenbilder sind dort am stärksten, wo sie impressionistisch-unscharf bleiben und sich die Malerin auf eine enge Palette von fein nuancierten Grautönen beschränkt. In einem Gedicht über den Charakter der Farben schreibt sie selbst: „Das Grau will gut gemischt sein“, und diese Kunst beherrscht sie ebenso gut wie ein Maurice Utrillo. Oder mit Cézanne gesprochen: „Wenn man nicht ein Grau gemalt hat, ist man kein Maler.“ Gisela Weiß ist eine Malerin.