Regine Nahrwold am 30. Juli 2017
Ausstellung: Sascha Weidner im Sprengel Museum Hannover
Grounded II, 2007
„Wer auf dem Kopf geht, der hat den Himmel als Abgrund unter sich.“ Dieses Wort des Dichters Paul Celan könnte als Motto über dem Werk des Fotokünstlers Sascha Weidner stehen, der 2004 sein Studium an der HBK Braunschweig mit einem Ehrendiplom abschloss und anschließend Meisterschüler von Dörthe Eißfeldt war. 2015 verstarb er mit erst 39 Jahren an einem Herzinfarkt. Im letzten Jahr erhielt das Sprengel Museum Hannover eine umfangreiche Schenkung aus seinem Nachlass und präsentiert nun eine erste Auswahl daraus in der Schau „It’s all connected somehow“.
Mulholland Drive II, 2005
Dieser wie auch andere Ausstellungstitel verweisen auf die poetische Unterströmung, die Weidners subjektive Bildwelten durchzieht, etwa „Bis es wehtut“ (Kunstverein Wolfenbüttel 2008), „Was übrig bleibt“ (Museum für Photographie Braunschweig 2009) oder “Bleiben ist nirgends” (Mönchehaus Museum Goslar 2016). Der dritte erscheint geradezu programmatisch, sagte der Künstler doch von sich selbst: “Ich bin getrieben, ständig auf der Suche, ein romantisch bewegter Reisender, unruhig, wie beim ersten Schrei auf dieser Welt.“ Auf seinen Reisen, unter anderem nach Los Angeles, Sydney, Kyoto und Peking, bannte er immer wieder die Schönheit und Zärtlichkeit flüchtiger Augenblicke in seine Bilder. Sie werden zu melancholischen Gleichnissen für die menschliche Existenz, ihre Vergänglichkeit, Verletzlichkeit und Fragilität. Als Verdichtung dessen erscheint „Touché II“, wo ein Mensch kopfüber von einem Ast herabhängt und mit der ausgestreckten Hand ganz sacht die lichte Oberfläche eines Sees berührt. (Seine Aufnahmen versah der Fotograf stets mit der Zahl II, denn das erste Bild sei immer das in seinem Kopf.)
Touché II, 2005
Weidner war es „vergönnt zu träumen: Nachts ist meine Reise ein nicht begehbarer, nicht wieder auffindbarer Kontinent. Mein Schlaf ist so fest, dass alles, was später daraus hervordringt, ins Licht will.“ Und so sind viele seiner Motive in nächtliches Dunkel gehüllt: bunte Fotoecken trudeln durchs All, Fragmente eines Spinnennetzes und die Blütenschaumwolke eines Kirschbaum aus der Serie „Hanami“ schweben vor Schwarz. Auf „Mulholland Drive II“ – der Titel eine Anspielung auf den rätselhaften Film von David Lynch – hockt eine junger Mann vor einem dunklen Berghang, über dem der grünlichgelbe Lichtschein einer fernen Stadt schimmert. In „Grounded II“ hängen zwei Menschen fest geerdet am oberen Bildrand und haben den Nachthimmel als Abgrund unter sich.
aus der Serie „Hanami“, 2013
Um den frühen Tod des Künstlers wissend, berührt vor allem eine Aufnahme, die ihn neben einem Reh am Waldboden liegend zeigt. Ist es wirklich das Tier oder nur ein Bild davon? Weidner schöpfte auch aus Familienfotos und gefundenen, den Massenmedien und der Kunstgeschichte entlehnten Bildern. Den Abschied von seinen Eltern verarbeitete er, indem er Aufnahmen aus Alben abfotografierte, verschleiert vom Pergaminpapier, das die Seiten trennt. Ein Schutthaufen gerät zum „Eismeer II (nach C. D. Friedrich)“ und an die Kirchenruinen des romantischen Malers erinnert „Caché II“ von 2010. Es ist das letzte Bild dieser absolut sehenswerten Ausstellung. (Bis 19. November 2017, Sprengel Museum Hannover, Kurt-Schwitters-Platz, Öffnungszeiten: Dienstag 10 – 20 Uhr, Mittwoch bis Sonntag 10 – 18 Uhr).
aus der Serie „Familienalbum“, 2010