Regine Nahrwold am 5. September 2017
„Theater Zeitraum“: Gerhard von Frankenberg
Kathrin Reinhardt, Ronald Schober
„Meine Auffassung von Ritterlichkeit ruft mich an die Seite derer, die ich für unterdrückt und hilfsbedürftig halte.“ So erklärt Gerhard von Frankenberg, als Sozialist das schwarze Schaf des Familienverbandes, 1921 seinen Austritt aus demselben. „Sechs Kugeln stecken für Sie im Lauf!“, „Man sollte sie an einem Laternenpfahl aufknüpfen!“ Das muss sich der Mann, der seit 1922 für die SPD im Landtag sitzt und sich nach dem Grauen des Ersten Weltkriegs „die ganze Erde uns zum größeren Vaterland“ wünscht, von seinen Gegnern anhören – Vorläufer heutiger Hassmails. Als Naturwissenschaftler, Direktor des Naturhistorischen Museums und Lehrbeauftragter für Zoologie an der TH Braunschweig ist Frankenberg überzeugt, dass die Natur das Leben aus sich selbst, ohne Einwirken eines höheren Wesens, hervorgebracht hat.
Diesem Freigeist aus Braunschweig hat Gilbert Holzgang mit seinem dokumentarischen „Theater Zeitraum“ nun sein 30. (!) Stück gewidmet. In 100 Minuten entfalten er und die Schauspieler Kathrin Reinhardt, Hans Stallmach und Ronald Schober ein Lebensbild von der Weimarer Republik über die Nazizeit bis zu den Notstandsgesetzen der 1960er Jahre – für Frankenberg ein verschleiertes Ermächtigungsgesetz. Aus elf Regalmetern Nachlass wählte Holzgang Passagen aus Tagebücher, Briefen und Publikationen aus, die er geschickt dramatisierte, mit Fotografien und Filmen hinterlegte und mit Musik untermalte. So begleitet etwa ein hinreißender Walzer von Schostakowitsch das Gedicht „Paradies“, das er seiner Braut zur Hochzeit schrieb. Eine Berichterstatterin, Frankenberg als Wissenschaftler und Politiker kommen zu Wort, in Reden voller Pathos, in Dialogen, Gesprächen zu dritt oder – ein Höhepunkt der Inszenierung – einer tumultösen Landtagssitzung, in der er auf Dietrich Klagges von der NSDAP prallt. Toll auch ein Staccato von Worten des Nazijargons.
Hans Stallmach, Ronald Schober
Zweimal schreibt von Frankenberg einen ergreifenden Abschiedsbrief an Frau und Kinder. Den Tod zu fürchten, dazu hat er Grund genug: 1932 durch Klagges von seinem Lehrauftrag entbunden, 1933 aus dem Staatsdienst entlassen, muss er samt Familie eingeworfene Fenster, Haussuchungen, Verhaftungen, Denunziationen und Pöbeleien aushalten. Man zieht schließlich nach Hannover, wo er sich als Schriftsteller, Fotograf und Forscher betätigt. Doch im August 1944 wird er ins KZ Neuengamme gebracht, im September 1944 wieder entlassen und kurz darauf zur Wehrmacht eingezogen. Nach Kriegsende nimmt er, voll rehabilitiert, seine Ämter in Braunschweig wieder auf und mokiert sich über die „Vergesslichkeit“ der Deutschen in einem Gedicht über „Heil, Hitler!“ plappernde Papageien – woher haben die das bloß? Nach der Mondlandung schaut von Frankenberg als Marsbewohner auf den blauen Planeten hinab und sieht die Menschen als Kinder, die mit dem Rasiermesser spielen. Doch sein Glaube an Frieden und Brüderlichkeit wankt nicht. Begeistert applaudierte das Publikum ihm und allen Mitwirkenden. (Weitere Termine: 8., 9., 13., 22., 27. 9., jeweils 19.30 Uhr, Gliesmaroder Turm, Berliner Str. 105, Vorverkauf: Musikalien Bartels, Schlosspassage)