Regine Nahrwold am 17. September 2017
Ausstellung: Fünf Mal Gudrun Brüne in Braunschweig
Frei nach Leonardo da Vinci sitzen Christus und die Jünger unter dem riesigen Auge Gottes beim Abendmahl. Ihre Gewänder leuchten blau, gelb, rot. Doch der Meister ist eine gesichtslose Puppe, und die Jünger tragen glatte, starre Masken. „Ich wollte Jesus nicht durch ein Gesicht verstellen“, erläutert die Malerin Gudrun Brüne, „und die Jünger verstecken sich. Jeder fragt sich insgeheim angstvoll, ob er der Verräter sein wird. Ja, jeder könnte es sein.“ Das wandfüllende Gemälde gab Joachim Prüsse bei Brüne für seine Sammlung in Auftrag. Nun hat er der Künstlerin in Jakob-Kemenate, Kemenate Hagenbrücke, im Augustinum, im Bankhaus Löbbecke und in der Stadthalle unter dem Titel „Traum und Wirklichkeit“ fünf Ausstellungen ihrer nach 1989 entstandenen Bilder, Grafiken und Aquarelle ausgerichtet; im Hauptbahnhof wird auf diese Ausstellungen hingewiesen.
Gudrun Brüne, 1941 in Berlin geboren, studierte nach einer Buchbinderlehre ab 1961 Malerei an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, unter anderem bei Bernhard Heisig, den sie 1991 heiratete. Von 1966 bis 1977 arbeitete sie freischaffend und zeitweise als Mitarbeiterin in Heisigs Atelier. Von 1977 bis 1999 lehrte Brüne an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle. 1987 wurde sie mit dem Kunstpreis der DDR ausgezeichnet, 1988 stellte sie auf der Biennale in Venedig aus. In bester ostdeutscher Tradition noch an Otto Dix geschult, versteht sie das Handwerk der Malerei. Dabei legt sie höchsten Wert darauf, dass Form und Inhalt sich schlüssig miteinander verschränken, das sei heute nicht mehr selbstverständlich. Ihre Form ist die gegenständlich-realistische Malerei, ihre Stoffe sind häufig Puppen und Masken, denen sie vielfach düstere Blicke auf Mensch und Welt abgewinnt. Auf vielen ihrer Bilder türmen sich zerbrochene Puppen mit abgerissenen Köpfen und erinnern an Fotografien der furchtbaren Leichenberge in deutschen Konzentrationslagern. In einem Triptychon hat sie „Guernica“, dem bedeutendsten Gemälde der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Anhäufungen von Puppen vorgeblendet, plastisch und farbig vor Picassos flächigen Formen in Schwarz, Weiß und Grau. Die Puppe ist für Brüne ein Abbild menschlicher Wehr- und Sprachlosigkeit. „In der DDR sollten wir passive Puppen sein, und im Westen ist der Mensch auch nur eine manipulierbare Puppe.“ An der Maske dagegen interessiert sie vor allem das Phänomen, dass manche Masken überhaupt erst das wahre Gesicht entlarven, so etwa in dem Bild „Vorstand“: „Diese Männer tragen Masken, aber sie sehen tatsächlich genau so aus.“
Neben solchen bedeutungsvollen Gemälden, oft in großen Formaten, sind die „kleineren“ Portraits, Landschaften, Stilleben und Blumen bescheidener im Anspruch und damit oft auch glücklicher nur sie selbst. Sie sind Stoff, Inhalt und Thema zugleich. An Gudrun Brünes Malerei können sich durchaus die Geister scheiden, doch eine respektvolle Betrachtung haben sie auf jeden Fall verdient. (Bis 1. 12. 2017, Jakob-Kemenate, Eiermarkt 1a, Öffnungszeiten: Montag bis Sonnabend 11 – 17 Uhr, Sonntag 12-17 Uhr; Kemenate Hagenbrücke, Hagenbrücke 5, Dienstag bis Sonnabend 11-17 Uhr, Sonntag 12-17 Uhr; außerdem Augustinum, Am Hohen Tore 4a, Bankhaus Löbbecke, An der Martinikirche 4, und Stadthalle)