Regine Nahrwold am 28. September 2017
Ausstellung: Carina Brandes im Kunstverein Wolfenbüttel
courtesy BQ, Berlin
Halb hinterfangen, halb umflattert von einem weißen Tuch wie die Nike von Samothrake, steht die junge, blonde Frau in der Landschaft. Dann wieder stürzt sie vor einem hohen Himmel auf den unteren Bildrand zu, während von rechts bedrohlich eine riesige Forke hereinragt. Oder sie umfasst, in einem verwilderten Garten auf dem Boden liegend, eine halbgeöffnete Pforte im Hintergrund. Ein andermal presst sie sich an eine weiße Wand, hinter einem Gitter aus schwarzen Balken. In weiteren Bildern kriecht sie rücklings eine nächtliche Straße entlang oder reckt, von Kopf bis Zeh mit dunkler Farbe bedeckt und gespannt wie ein Flitzebogen, eine Kalaschnikoff in die Höhe, die aus Kopf und Händen wie ein Körperteil herauswächst.
courtesy BQ, Berlin
Die junge Frau ist die Fotografin Carina Brandes, die ihre traumhaft-surreale Bildwelt nun unter dem Titel „Winding Stairs“ im Kunstverein Wolfenbüttel zeigt. Brandes, 1982 geboren in Braunschweig, studierte 2003 bis 2011 an der HBK Braunschweig und war Meisterschülerin von Walter Dahn. Heute lebt und arbeitet sie in Leipzig. Nach Einzelausstellungen unter anderem in Berlin, New York und Los Angeles war sie dieses Jahr an „Made in Germany“ in Hannover beteiligt, wo sie durch ihre sehr eigenen Bilderfindungen herausragte. Ausgezeichnet mit dem Villa Romana-Preis, hält sie sich zur Zeit in Florenz auf.
Ihre analogen Schwarzweiß-Aufnahmen, die sie in der Dunkelkammer selbst entwickelt und auf Barytpapier abzieht, präsentiert Brandes in Wolfenbüttel in Formaten von Briefpapier bis Lebensgröße, konzentriert und hoch ästhetisch auf weißen und schwarzen Wänden. Meistens inszeniert sie sich selbst, manchmal zusammen mit ihr ähnlichen Frauen, die wie Doubles erscheinen. Schauplätze sind häufig Randgebiete wie Industriebrachen, verschneite Felder oder verlassene Parks, wo Zivilisation und Natur ineinander übergehen. Die Protagonistinnen sind so gut wie nie als Individuen erkennbar. Haare, Kleidungsstücke oder Requisiten wie Tiermasken verdecken die Gesichter. In kreatürlicher Nacktheit agieren sie spielerisch in mal poetischen, mal unheimlichen Szenarien – universelle Seelenbilder, in denen wir Teile unseres inneren Selbst entdecken können.
courtesy BQ, Berlin
Ist das nun Frauenkunst? Davon grenzt Brandes sich ganz klar ab: „Natürlich mache ich mir Gedanken um feministische Themen, aber ich bin keine Feministin. Vielleicht so etwas wie eine Post-Feministin. Da sind noch ganz viele andere Aspekte. Ich benutze meinen Körper frei, ich will nichts mehr darstellen, nicht mehr für bestimmte Inhalte einstehen. Mein Körper ist einfach wie ein Medium, das ich benutze.“ Und ganz nüchtern: „Der Körper ist für mich ein Gegenstand, den ich immer mit mir herumtrage. Ich war Kunstturnerin, mich interessiert der Körper im Zusammenspiel mit Form und Gegenstand.“ Ihre schöne Ausstellung sollte man auf keinen Fall versäumen. (Bis 22. 10., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstr. 4, Öffnungszeiten: Mo-Fr 16-18 Uhr, Sa und So 11-13 Uhr und nach Vereinbarung.)