Regine Nahrwold am 20. Oktober 2017
Film: „Sommerhäuser“ von Sonja Kröner
Jedes Jahr fahren Eva (Laura Tonke) und ihr Mann Bernd (Thomas Loibl) mit ihren Kindern in den Garten von Oma Sophie, um dort mit der versammelten Großfamilie den Sommer zu verbringen. Doch im Sommer 1976 ist alles anders. Oma Sophie ist unlängst verstorben, und am Tag ihrer Beerdigung wird der alte Baum im Garten von einen Blitz getroffen. In der Umgebung ist gerade ein kleines Mädchen verschwunden. Dennoch scheint – bis auf die diesjährige Wespenplage – zunächst alles seinen normalen Lauf zu nehmen: Die Kinder spielen ungestört im Baumhaus und im verwilderten Garten mit ihren Funkgeräten und verbuchen qua Strichliste, wer die meisten Wespen gekillt hat. Sie stromern – mit wohligem Schauern, aber auch echter Angst – auf dem unheimlichen Grundstück eines sonderbaren Nachbarn umher und singen fröhlich „Auf den Straßen fließt der Eiter…“ (habe ich in meiner Kindheit auch gemacht). Manchmal pirschen sie sich heimlich an die Erwachsene heran und schnappen Satzfetzen auf, die nicht für ihre Ohren bestimmt sind. Etwa dass die Großeltern mit dem Gedanken spielen, den Garten zu verkaufen, oder dass die kleine Tochter von Tante Gitti (Mavie Hörbiger) vom Vater nicht gewünscht war. Tante Ilse (Ursula Werner) buddelt in den Beeten und lädt die nette, wie sie selbst unverheiratete Nachbarin zu Kaffee und Kuchen ein. Tante Mathilde (Inge Maux) setzt sich auf der Liege splitternackt der prallen Sonne und einer Flasche Eckes Edelkirsch aus. Es wird viel geplaudert, Zeitung gelesen und Kaffee getrunken – wenn nur die verflixten Wespen nicht wären!
Immer deutlicher stellen sich die Störenfriede als Indikatoren unterschwelliger Spannungen heraus, die im Laufe des Films mehr und mehr ausbrechen. Immer öfter kommt es zu Streit, vor allem zwischen Eva und ihrer Schwägerin Gitti, die, ohne Mann, dafür aber mit Tochter sowie knallgelbem Sportwagen und Dior-Klamotten („So was kannst Du Dir gar nicht leisten!“) das schwarze Schaf der Familie ist. Ihre Kleine, mit teuren Geschenken überhäuft, ist bitter enttäuscht, dass der ersehnte Papa nicht zu ihrem Geburtstag erscheint. Tante Ilse bekommt von der Nachbarin einen Brief, den sie bewegt liest und empört zerreißt. Ein Liebesbrief?
Mittlerweile erfährt man, dass das verschwundene Mädchen brutal ermordet, die Leiche mit abgehackten Händen und Füßen gefunden wurde. Abends gruselt Bernd die Kinder mit Geschichten vom Kannibalen. Ein Wespennest wird entdeckt, der Taskforce aus Opa, Papa, Sohn gelingt es aber nicht, es auszuheben, wie Hitchcocks Vögel dringen die Viecher durch Kamin und Ofen ins Haus. So durchzieht das ganze Idyll von Anfang an eine dunkle, bedrohliche, immer weiter anschwellende Unterströmung, ständig schwebt man in der Furcht, dass gleich etwas Schreckliches passiert. Doch es sind nur kleine, ganz normale Katastrophen, wie in jeder anderen Familie auch, zunächst jedenfalls…
Ein Hauch von Tschechow liegt über diesem schönen Film, den Regisseurin und Drehbuchautorin Sonja Kröner mit einer phantastischen Kamerafrau (Julia Deschner) und ebensolchen Schauspielern geschaffen hat. Eine Familiengeschichte, wie sie wohl jeder kennt, und ein wunderbares Zeitkolorit der 1970er Jahre. (Im Rahmen des Internationalen Filmfestivals Braunschweig zu sehen im Kino Cinema C1 am 22.10., 15.00 Uhr)
Hier der Trailer.