Regine Nahrwold am 8. November 2017
Ausstellung: „Antipoden II“ in der Städtischen Ausstellungshalle
Thomas Schindler, Prometheus
Prometheus. Der Titan stahl den Göttern das Feuer, um es den Menschen zu bringen und damit – seine Name bedeutet „der Vorausdenkende“ – die Zivilisation. Zur Strafe wurde er ans wilde Kaukasusgebirge geschmiedet. Täglich kam ein Adler und fraß von seiner Leber, die anschließend wieder nachwuchs. Einer Variante des Mythos zufolge schuf Prometheus sogar aus Lehm die ersten Menschen. Auf einem Bild von Thomas Schindler ist – ganz schön anmaßend! – der Künstler selbst als der große Frevler an den Felsen gekettet, mit Malstock und Palette; mit ausgebreiteten Schwingen landet gerade der riesige Adler auf ihm. Doch von Leiden keine Spur: Der Mann ist anständig bekleidet mit Hose, blütenweißem Hemd, Sonnenbrille und karierter Kappe. Ebenso aufgeräumt wie seine Kleidung ist das ganze Bild: alles sauber gezeichnet und in bunten Farben koloriert, der Hintergrund erstrahlt in freundlichem Grün.
Thomas Schindler (geboren 1959) ist einer der drei Künstler, die unter dem Titel „Antipoden II“ in der Städtischen Ausstellungshalle eine Auswahl ihrer Werke aus den letzten 15 Jahren vorstellen. Die anderen beiden: Michael Heckert (geboren 1950) und René Havekost (geboren 1950). Alle drei studierten zwischen 1976 und 1983 an der HBK Braunschweig Malerei, bei Lienhard von Monkiewitsch, Alfred Winter-Rust, Peter Voigt und Hermann Albert. Man erinnere sich: Die 1980er Jahre waren die große Zeit der neuen figurativen Malerei eines Rainer Fetting und Helmut Middendorf, von Elvira Bach, Salomé, der „Mülheimer Freiheit“ und anderen – längst schon wieder ein Stück Kunstgeschichte.
Vollblutmaler sind auch Schindler, Heckert und Havekost, doch fragt man sich: Was haben sie aus ihren Begabungen gemacht? Alle drei arbeiten in großem Format und sind offenbar erfolgreich mit ihrer Kunst. Aber haben sie ein (Lebens-)Thema für ihr beträchtliches Talent gefunden? Zwei weitere Gemälde von Schindler, „Der Morgen“ und „Der Mittag“ scheinen auf den ersten Blick etwas zu bedeuten, allein man weiß nicht, was, ähnlich wie bei Neo Rauch. Ansonsten viele Tiere, Rennpferde, Flamingos und eine Arche.
René Havekost, Trasse, 2008
Ebenso verhält es sich bei René Havekosts gekonnten Farb-Flächen-Kompositionen und komplexen Räumen, wo manchmal auf Historisches angespielt wird (Stalin). Doch sie lassen einen genauso kalt wie die technisch brillanten Bilder „Trasse“ oder „Adam“, ein Läufer, in dessen Oberkörper der Maler eine liegende Frau hineinprojiziert hat.
Michael Heckert, der seit 1982 auch in Port-au-Prince auf Haiti lebt und arbeitet, hat nach dem schweren Erdbeben dort 2010 eine Serie übermalter Fotografien geschaffen, die von Farbmassen verschüttete Menschen zeigen. Sechs Jahre später sind Bilder wie „Love Struck“ und „Antimateria“ entstanden, auf denen Frauenleiber (Fotos) kopfüber durch ein All explodierender Farben stürzen – sehr effektvoll, aber auch nicht wirklich berührend. Eine große, tragende Idee fehlt jedem der drei – leider. (Bis 22. 11., Städtische Ausstellungshalle, Hamburger Straße 267, Öffnungszeiten: Di-So 14-18 Uhr)
Michael Heckert, Love Struck, 2016
Zu diesem Beitrag wurden folgende Kommentare verfasst (Kommentarfunktion inzwischen gelöscht):
1. Rene Havekost
Am 8. November 2017 um 13:38 Uhr
Sehr geehrte Frau Nahrwold,
bezugnehmend auf ihren Artikel über unsere Ausstellung Antipoden II, eins vorweg:
Sie haben sich und uns, mit diesem in höchster Form werbewirksamen Artikel, einen großen Gefallen getan. Dafür, meinen/unseren herzlichen Dank.
Ich kann mich des Eindrucks aber nicht erwehren, dass Sie sich gar nicht so richtig in der Ausstellung befanden. Vielleicht standen Sie so unter Strom, den Artikel schnell über die Bühne bringen zu müssen, dass sich dafür keine Gelegenheit bot; sollte es sich so verhalten haben, hätte Sie besser ablehnen sollen, anstatt einen solchen, schon an Bösartigkeit grenzenden, Artikel zu verfassen. Sei’s drum!
Geblendet von der großen Form: Es hat wieder einmal funktioniert!
Alle drei Künstler verbindet innerhalb ihrer Arbeit, je auf verschiedene Weise, die Erforschung existenzieller Tiefenschichten des Seins, auch wenn das heute für Sie ab-gegessen sein mag, so ist es doch immer noch das seit Urzeiten alles bewegende Thema, trotz Internet und sonst einer technischen Revolution.
Im Übrigen hat mich ihr Artikel derart berührt, dass mir förmlich die Tränen in die Augen schossen, als ich ihn heute lass. Und dann noch in einem Atemzug mit den ebenfalls ” belanglosen und berührungsarmen” Arbeiten eines Neo Rauch in Verbindung gebracht zu werden; welch eine Ehre!
Mir ist schon bewusst, dass, besonders unter den sogenannten Fachkundigen der schreibenden Zunft, eine Malerei welche sich heute noch erlaubt, kraftvoll daherzukommen, gar noch mit Anspielungen und Hinweisen auf Metaphysisches und Mythologisches durchsetzt ist, immer mehr auf Ablehnung stößt, sollte das denn überhaupt noch wahrgenommen werden. Wir leben in Zeiten, zu tränen-rührenden Sozialkitsches, intellektuell aufgeladener soziologischer Querwuselei, zynischer Satirepeitschen, nichtssagender ornamental ausgerichteter Tapete, esoterisch aufgeladenem Gefasel, blind hingeworfenen Schmierereien, nicht selten in Verbindung mit den dazugehörenden Gewissensknuten.
Es sei hier einmal die Frage erlaubt, ob Sie nicht vielleicht Ihre Kompetenz, was die Malerei, auch entwicklungs-geschichtlich gesehen, ein wenig überstrapaziert haben, zumal ihre Kritik, scheinbar von sehr hohem Rosse aus, nieder-geschleudert wurde.
Wie schon gesagt, sind mir nichtssagende Lobhudeleien ein Graus, doch etwas mehr Einfühlsamkeit, Sachverstand und Recherchearbeit hätten wir schon gewünscht.
Mit freundlichen Grüßen
Rene Havekost (Im Namen der Maler, die ihr Talent nicht nutzen konnten)
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2. Michael Heckert
Am 8. November 2017 um 14:23 Uhr
Sehr geehrte Frau Dr. Regine Nahrwold,
schon am Anfang Ihres Artikels beschlich mich leise Verwunderung. Schrieb hier ein Profi der Kunstkritik oder eher ein Dilletant? Ich vermute Letzteres, denn anders ist dieser Text nicht zu erklären.
Es mutet an, als ob ein Blinder die Farben erklären wolle, oder schlimmer noch, ein Sportkritiker etwas über Kunst schreiben mußte.
Sie mögen viele Meriten erlangt haben, in vielen kunstvermittelden Institutionen gearbeitet, Kunst studiert haben… es hat wohl alles für eine seriöse Kunstkritik nicht gereicht.
Kunstkritik ist notwendig und auch wir stellen uns ihr.
Dies ist besonders heutzutage nötig, wo sich das gemalte Design wie Mehltau über die Kunst legt und das Geld diese korrumpiert. Gleichwohl nehmen wir uns heraus, die Kritik zu kritisieren,denn so, wie Sie uns kritisierten, ist es ein intellektuelles und kunstkritisches Desaster.
Uns allen eine große, tragende Idee abzusprechen ist der größte Faux Pas überhaupt und zeigt hier exemplarisch Ihren Dilletantismus. Mir scheint, Sie waren garnicht in der Ausstellung, sondern sind mal so eben über die Auslagen gehuscht. Anders läßt sich z.B.auch nicht erklären, dass Sie schreiben, ich würde seit 1982 in Haiti leben.
Dort habe ich zwischen 2007 und 2012 gelebt, habe jetzt ein Atelier nahe Berlin, und das ist überall nachzulesen.
Es ist ein Armutszeugnis der Braunschweiger Zeitung, dass sie keine qualifizierteren Kritiker in Stellung hat; diesen Anspruch stellen meine Kollegen und ich. Unsere Ausstellung ist wohl das
Beste, was es zur Zeit in der Region zu sehen gibt.
René Havekost, Thomas Schindler und ich studierten in Brauschweig in den 70er Jahren an der HBK Freie Kunst, in einer Zeit, als Kunst noch “frei” war und keinen Restriktionen wie zur
Zeit an der HBK unterlag, wo man Malern das arbeiten in den Abendstunden verweigern will, keiner tumben Kritik anheim fiel, welche sich darüber empört, es sei anmaßend, sich als Künstler
selbst als Prometheus darzustellen. Auf welchem Planeten leben Sie, Frau Nahrwold?
Wir zeigen uns der Stadt Braunschweig als weltgewandte, erfolgreiche Künstler, indem wir uns vor ihren Institutionen und Künstlern verneigen. Dass dieses nicht erkannt wurde,
ist schade, aber wohl nicht zu ändern.
Michael Heckert
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3. Eva Majeran
Am 8. November 2017 um 23:13 Uhr
Liebe Kunstinteressierte,
Ich habe Die Antipoden II Ausstellung in der Halle 267 selbst mehmals besucht, und würde es auch noch einmal gerne tun. Was in dem Artikel der Braunschweiger Zeitung dazu veröffentlicht wurde, ist mir einfach zu platt. Alle Ausstellenden werden über einen Kamm geschert, teils mit nicht überprüfbaren Angaben versehen und der Artikel scheint deshalb auch eher subjektiv gefärbt zu sein.Vor allem fehlt mir hier der Fokus auf die kleineren, aussagekräftigen Formate, welche mich persönlich am meisten, (ich sage doch) berühren. Abgesehen davon fühle ich mich angenehm inspiriert.
Auch die Großformatigen Arbeiten sind durchaus beeindruckend und Stellenweise auch nicht ohne Anspielungen auf Z.B.zwischenmenschliche und andere Tragödien und Verwicklungen. Gerade das Stalin- Gemälde ist dafür ein Beleg. es enthält eine angedeutete in schwarz (Farbe der Trauer- tote) Frauensilhouette mit einer Feder in Ihrer Hand anstatt eines Messers… Gerade Havekosts Arbeiten regen hier zum Nachdenken an.
Die Künstler haben es nicht verdient, so pauschal abqualifiziert zu werden, zumal jeder von Ihnen seinen eigenen komplexen und individuellen Werdegang erfahren hat und immer noch erfährt. Auch im Austausch mit anderen Ausstellungsbesuchern haben sich aus meiner Sicht berührende und anregende Gespräche ergeben. Ich kann allen an Malerei Interessierten den Besuch dieser Ausstellung wärmstens empfehlen.
Eva Majeran aus Lübeck
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4. Regine Nahrwold
Am 9. November 2017 um 17:38 Uhr
Sehr geehrter Herr Havekost, sehr geehrter Herr Heckert,
dass ich für diese Rezension Prügel von Ihnen beziehen würde, war mir von vornherein völlig klar. Nun, die stecke ich ein, denn nicht nur die Künstler, auch die Kritiker müssen sich Kritik gefallen lassen.
Ich habe überhaupt nichts gegen eine kraftvolle und sinnliche Malerei, auch nichts gegen Metaphysisches, Mythologisches und existenzielle Tiefenschichten des Seins in der Kunst – ganz im Gegenteil! Ich konnte diese Tiefenschichten in Ihrer hervorragenden Malerei nur nicht entdecken. Im übrigen war ich mit dem Artikel keineswegs in Eile, sondern habe mir einen Nachmittag und einen Abend Zeit dafür genommen.
Dass Sie in den 1980er Jahren studiert haben, ist in der Tat nur halb richtig, denn Sie haben bereits in den 1970ern begonnen und Anfang der 1980er abgeschlossen, wenn ich das richtig sehe. Dass Sie, Herr Heckert, zwischen 2007 und 2012 auf Haiti gelebt haben, konnte ich Ihrer Homepage nicht entnehmen, dort heißt es in Ihrer Vita: “ab 1982 leben und arbeiten in Köln, Bonn und Port-au-Prince/Haiti”.
Ich freue mich, dass Frau Majeran Ihre Ausstellung als inspirierend erlebt hat.
Mit freundlichen Grüßen – Regine Nahrwold
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5. Gertrud Färber
Am 11. November 2017 um 00:45 Uhr
Die Ausstellung habe ich mir gestern angesehen. Von Havekost haben mir „Siesta“ (mit Stalin) von 2004 und „Scheibe I“ von 2016 gefallen, von Heckert das ca. 70 x 100 cm große „Escalier au Ciel“ von 2012, die Bilder von Schindler mochte ich nicht. Als (ehemalige) Malerin könnte ich mich über die Malerei und die Inhalte äußern, will ich aber nicht, sondern ich äußere mich über die Kommentare der beiden Maler, René Havekost und Michael Herckert, die sich offensichtlich sehr getroffen fühlen, sonst müßten sie sich nicht derart beleidigt zeigen und nicht in so pennälerhafter Weise die Kompetenz ihrer Kritikerin in Zweifel ziehen.
Ich kenne Regine Nahrwold als eine sehr gründlich und gewissenhaft arbeitende, erfahrene, urteilsfähige, einfühlsame, aus fundiertem Wissen und eingehender Betrachtung schöpfende Kunsthistorikerin, Kuratorin, Autorin und Rednerin, die schon viele Künstlerinnen und Künstler zu deren Zufriedenheit gewürdigt hat.
Vielleicht sollten beide Maler doch einmal all die im Artikel enthaltenen lobenden Aspekte zur Kenntnis nehmen – „Vollblutmaler“, „beträchtliches Talent“, „gekonnte Farb-Flächen-Kompositionen und komplexe Räume“, „technisch brillante Bilder“, „sehr effektvoll“ – und berücksichtigen, was eine provinzielle Lokalzeitung auf begrenztem Feld überhaupt zuläßt und demnach erkennen, welche Fülle der Artikel in seiner Kompaktheit enthält.
„Effektvoll“ ist ja bei Regine Nahrwold anerkennend gemeint. Nach meiner Betrachtung der Bilder habe ich den Farbrausch in Deinen Bildern, Michael, allerdings leider überwiegend als aufgesetzte Effekthascherei empfunden. Du weißt, glaube ich, dass ich mich vor fünfunddreißig Jahren intensiv mit Willem de Koonings Frauenbildern der 50er Jahre beschäftigt hatte, die anscheinend nicht unwichtig für Deine Malerei sind. Die in ihnen spürbare existentielle Auseinandersetzung, da gebe ich Regine Nahrwold Recht, ist jedoch in kaum einem Bild der Ausstellung zu erkennen.
„Ganz schön überheblich“ finde ich nicht nur das Bild des Künstlers als Prometheus, wie Thomas Schindler es darstellt (wie antiquiert die Requisiten!), sondern die heroische Attitude der drei Maler und der offenbar überrumpelnde Auftritt in Braunschweig als ehemalige Studenten bei ihren Meistern an der hiesigen HBK. Der eine Meister sagte mir letzten Dienstag bei der Ausstellungseröffnung von Olaf Christopher Jenssen im Kunstverein Wolfenbüttel, dass er es abgelehnt habe, eine Einführungsrede zur Ausstellung der drei Maler zu halten. Außerdem hat dieser Meister nicht einmal eine Einladung erhalten. Und da bist Du enttäuscht, Michael, dass die Professoren von damals nicht zu eurer Eröffnung gekommen sind? Ich nehme an, sie wissen, warum. Olaf Christopher Jenssen ist übrigens Professor an der HBK.
Und übrigens: Zur Region gehören u. a. der Kunstverein Wolfenbüttel und ein paar weitere gute im eher ländlichen Raum rund um Braunschweig sowie zwei gute Kunstvereine in Braunschweig, das Mönchehaus Museum für moderne Kunst Goslar und das Kunstmuseum Wolfsburg gehören dazu und es gibt hier gute Künstler zu Hauf.
Wie hört sich jetzt das an:
„Es ist ein Armutszeugnis der Braunschweiger Zeitung, dass sie keine qualifizierteren Kritiker in Stellung hat; diesen Anspruch stellen meine Kollegen und ich. Unsere Ausstellung ist wohl das
Beste, was es zur Zeit in der Region zu sehen gibt.“ (Heckert)
Und wie hört sich das an:
„Wir leben in Zeiten, zu tränen-rührenden Sozialkitsches, intellektuell aufgeladener soziologischer Querwuselei, zynischer Satirepeitschen, nichtssagender ornamental ausgerichteter Tapete, esoterisch aufgeladenem Gefasel, blind hingeworfenen Schmierereien, nicht selten in Verbindung mit den dazugehörenden Gewissensknuten.“ (Havekost)
Gertrud Färber, seit Juli 2017 mit Wohnsitz in Braunschweig
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