Regine Nahrwold am 17. November 2017
Ausstellung „The Pale Afternoon“ von Olav Christopher Jenssen im Kunstverein Wolfenbüttel
Ein Netz von roten, blauen, grünen, orange- und türkisfarbenen Linien in variierender Strichstärke spinnt sich über die große Wand im Kunstverein Wolfenbüttel. Stets leicht gerundet, suggerieren sie gespannte Bögen oder das Herabhängen lockerer Fäden. Immer wieder treffen sie in einem zentralen Punkt zusammen und bilden größere oder kleinere, mal drei- und viereckige, mal längliche, spindelförmige Zellen aus. Diese lebendige Wandzeichnung „The First COLIBRI DRAWING for Wolfenbüttel“ hat der Künstler Olav Christopher Jenssen zusammen mit drei seiner Studierenden für seine Ausstellung „The Pale Afternoon“ geschaffen. Und der Name passt gut, strahlt doch die Zeichnung die farbenfrohe Leichtigkeit dieser Vögel mit ihren schwirrenden Flügeln aus.
Jenssen (geboren 1954 in Sortland/Norwegen, lebt in Berlin und in Lya/Schweden) zählt zu den renommiertesten Künstlern skandinavischer Herkunft. 1992 nahm er an der Documenta IX in Kassel teil. Seit 1996 war und ist er Professor für Malerei, bis 2003 an der HBK Hamburg, seit 2007 an der HBK Braunschweig. Er arbeitet ungegenständlich, vor allem auf den Gebieten Malerei und Zeichnung, die freilich in seinen Werken nicht voneinander zu trennen sind. Ihr Entstehungsprozess und das Moment der Zeitlichkeit ist Jenssens Arbeiten durch den bewegten Farbauftrag eingeschrieben. In dem großformatigen Ölbild „The Transmontane Painting No. 05“ (2017) hängen Büschel von struppigen, grünen Strichen und geschlängelte Linien vom oberen Bildrand herab in einen imaginären Farbraum hinein, dem weiße und schwarze Fläche Tiefe und Weite verleihen; ein sachtes Rauschen scheint diesen Farbraum zu durchziehen. Aus der Reihe „The Smaller Transmontane Painting No. 02-05“ (2017) sticht ein helles Bild hervor, in dem streifig aufgetragenes Grau, …
… das den Malgrund durchscheinen lässt, nach unten ins Weiße ausläuft. Darauf, weiß ausgespart, ein Geflecht, in das noch einmal dunkle Linien hineingezeichnet wurden, unten und rechts Spuren von zartem Rosa.
Das Arbeiten in Serien ist charakteristisch für Jenssen, der ein Werk aus dem anderen entstehen lässt. Er selbst spricht von einem „Strom von Bildern, die untereinander visuell verbunden sind“. Dabei zeigt er sich geduldig: „Es gehört ein Gutteil Warten dazu – warten auf jenen besonderen Augenblick, der es den Dingen ermöglicht, sich zu entwickeln. … Für mich ist die Zeit meiner Vorbereitung wichtig. In der Unruhe liegt eine Geduld, die nichts anderes von mir verlangt als meine Anwesenheit.“
„Infinitiv“ (2014-17), eine Folge von Acrylmalereien auf runden Aludibondscheiben, spielt den Verlauf der Pinselspuren gegen die zentrierte Kreisform aus. In der Radierung „Penelope“ (2014) bilden vibrierende, parallele Linien eine geometrische Form, zu der das ausgesparte Weiß des Grundes die Gegenfigur ergibt. In zwei Vitrinen sind Skizzen zu sehen, die der Künstler auf Reisen, u.a. nach Venedig, Granada, Tokyo und China, angefertigt hat – Reduktionen aufs Maximum. Eine große Freude, diese Ausstellung. (Bis 10.12., Kunstverein Wolfenbüttel, Reichsstraße 1, 38300 Wolfenbüttel. Öffnungszeiten: Mi bis Fr 16–18 Uhr, Sa und So 11–13 Uhr)