Regine Nahrwold am 29. November 2017
Premiere: „Open House“ im Staatstheater Braunschweig
Hektisches Stroboskoplicht, dröhnende Popmusik. Die ersten Sätze werden in rasendem Tempo herausgeschrien. Dann Abbruch: „Wir fangen noch mal von vorne an.“ Ja, bitte, denkt man, und hofft, dass nun alles anders wird bei der Premiere von „Open House“ im Aquarium des Staatstheaters. Wird es aber leider nicht.
Drei junge Menschen in einer Wohngemeinschaft, einer durchgeknallter als der andere. Louis (Cino Djavid) hat seinen Kurs zur Unterscheidung von Wesentlichem und Unwesentlichem nicht geschafft und ist weiterhin paralysiert von tausend Ängsten: Klimakatastrophe, vergiftete Lebensmittel, mächtige Großkonzerne, Vorstellungsgespräche – schier alles versetzt den Allergiker in Panik. Ein ganzer Haufen zerknüllter Zeitungen türmt sich schon vor ihm auf. Zu allem Unglück tyrannisieren ihn Telefon und Kühlschrank mit einem Sprachmenü („Bei Existenzangst wählen Sie bitte die Tonwahltaste…“) Louis‘ Devise: „Hoffnung ist nur die Unfähigkeit, der Realität ins Auge zu sehen.“ Selbst als Clown – mit Gaumenzäpfchen-Luftballon – versagt er kläglich, weil er den Kindern zwanghaft die Gefahren dieser Welt erklären muss.
Anna (Gertrud Kohl) flüchtet vor ihren Depressionen in wechselnde Tierkostüme, denn wenn sie nicht verkleidet ist, spürt sie, wie der Eiter in ihr kursiert. Für den ersehnten Applaus übt sie, sich in eine Schachtel hineinzuquetschen. Dabei möchte sie so gerne mutig sein, etwa Charlotte so richtig die Meinung geigen, wenn die sie mal wieder herumkommandiert – Pustekuchen! Der wirklich starke Mensch, die bärtige Frau Helena vom Rummelplatz, die zu ihrem Makel steht, ist ihr großes Vorbild. Aber Anna ist zu schüchtern und harmoniebedürftig: „Liebe ist für alle da und steht immer ganz groß im Plural!“
Nur Charlotte (Yevgenia Korolov) scheint halbwegs normal zu sein. Doch ihr forsches Auftreten ist nur Fassade: „Ich sage ‚Mach den Abwasch!‘ und ‚Feg den Boden!‘, dabei meine ich ‚Liebe mich‘!’“ Das schicke neue Kleid für ihr Date hat sie sich umsonst gekauft: auch Lover Nummer 4 macht sich aus dem Staube. Charlotte beschließt: „Ab heute liebe ich mich selbst – bedingungslos!“ und bringt fortan Mensch und Tier qua Telepathie zum Explodieren. Aber wirklich glücklich macht das auch nicht. Und so träumt sie von einem Marsbewohner, der im Hinterhof landet und ihr zeigt, wie die Liebe geht…
Laut Ankündigung des Staatstheaters zelebrieren die drei „einen einzigen, beherzten und zutiefst begründeten Schrei nach Liebe.“ Ach, wenn es doch so wäre! Die Schauspieler, vor allem Gertrud Kohl, geben ihr Bestes, doch alle Figuren sind so schrill und werden von der Inszenierung noch weiter ins Extrem getrieben, dass man völlig ungerührt bleibt. Oder hat Regisseur Christopher Haninger bei diesem substanzlosen Stück des Frankokanadiers David Paquet einfach nur die Flucht nach vorn angetreten? Einzig das aus Kartons gezimmerte Bühnenbild und die zauberhaften Kostüme – Anna umgarnt Louis als Hummer – von Katrin Gerheuser sind ein Lichtblick.