Regine Nahrwold am 10. Januar 2018
Nachruf auf Hans-Georg Assmann
Lange Haare, Bart, ganz in Schwarz, mit einer Krähe in der Hand – dieses Foto hat das Bild von Erscheinung und Persönlichkeit des Malers Hans Georg Assmann geprägt: ein schwieriger Mensch, (selbst-)zerstörerisch und voller Negativität. Doch der Meisterschüler von Malte Sartorius und Rudolf-Wilke-Preisträger der Stadt war einer der besten Künstler Braunschweigs. Seine ungegenständlichen Bilder gehen vom Körper aus: Knochen, Knorpel, Fleisch, Muskelstränge, Nervenbahnen, Haut… Leinwand und Papier, mit Öl, Acryl, Graphit, Kreiden, Gouache, Asphaltlack, Latexmilch bearbeitet, sollten Haut werden, organische Gewebe aus bald verdichteten, bald auflockernden Strichlagen, Röntgenbilder, deren Schichten diese Unendlichkeit auch in die Tiefe hinein suggerieren. Ausgangspunkt konnte ein menschlicher oder tierischer Körper sein oder der Leib der Erde, in den letzten Jahren vermittelt durch die medialen Bilder von Google Earth. Assmanns Arbeiten sollte man – so Paul Schuster in einem Katalog von 1990 – „nicht mit den Augen betrachten, sondern mit dem Körper; könnte der Körper sehen, wäre er Auge, dann würde er erschrocken-beglückt feststellen, dass alles stimmt.“
In den Abmessungen der Formate war Assmann der Bezug zum eigenen Körper wichtig; dieser war für ihn das Grundmodul des Bildes, 1:1, als Teil oder Vielfaches. Buntfarben brauchen seine Arbeiten nicht, es genügen Weiß, Schwarz, Grau- und Brauntöne, die nach Rot tendieren – die Farben von Licht und Schatten, von Erde und Inkarnat. Innerhalb dieses engen Spektrums schuf Assmann einen großen Reichtum an gleichsam farbigen Mischungen und Nuancen. Dabei gelang es ihm fast immer, den horror vacui in Schach und etwas weißen Grund frei zu halten, der von der umgebenden Zeichnung und Malerei mitgeformt wird und ihr gleichzeitig den nötigen Raum zum Atmen lässt.
Jede einzelne von Assmanns Arbeiten ist eine starke Individualität. Zugleich entstanden sie alle nach dem Prinzip der Selbstähnlichkeit: Jede einzelne bildet über die zugrunde liegende Idee und Struktur immer auch das Ganze ab. Jedes Individuum ist zugleich Fraktal, das zu einer Serie und zuletzt ins Gesamtoeuvre gehört. Eigentlich haben wir es also mit nur einem einzigen Bild zu tun. Anders gesagt: Mit jedem neuen Bild ging es wieder „nur“ darum, das Bild, das eine Bild zu schaffen. Dieser Punkt jedoch ist nicht erreichbar, und wenn doch, dann nur für einen kurzen, vergänglichen Moment. Dann muss das Ersehnte wieder vergehen oder zerstört werden. In diesem Sinne kreisen Assmanns Bilder alle um die leere Mitte, in der Alles oder Nichts sein kann. „Alles ist Rand“ ist ein Titel einer Arbeit – er könnte genau so gut lauten „Alles ist Zentrum“.
Am 31. Dezember ist Hans Georg Assmann im Alter von 67 gestorben. Möge er in seinem Zentrum angekommen sein.