Regine Nahrwold am 3. Februar 2018
Ausstellung: „Jenseits des Sichtbaren. Fotografische Erzählung als Spur“ im Museum für Photographie
Louisa Clement, not yet titled, 2011, Inkjetprint, © Louisa Clement / Wentrup Gallery, Berlin
Eines Nachts landeten die Künstler Ernst Mitzka und Sigmar Polke nach einer feucht-fröhlichen Kneipentour in Hamburg nicht etwa in Mitzkas Wohnung, sondern – in der seines Nachbarn. (Die Türen waren sich so verdammt ähnlich!) Dieser, ebenfalls Künstler, begrüßte die Eindringlinge, gemeinsam zechte man weiter, bis Polke den Gastgeber fragte, ob er denn mit seiner Kunst auch Kohle mache? Ja, doch, durchaus. Worauf Polke den Kohleeimer ergriff und über die Radierungen entleerte. Tags drauf kehrten er und Mitzka ernüchtert und reumütig zurück, um den Schaden mit der „Waschung der Lineale“ wieder gut zu machen. Aus Polkes Fotos von der Aktion entstand 1972 die gleichnamige Serie von sieben schwarzweißen Silbergelatineprints auf Barytpapier. Sie ist, unter anderem, zu sehen in der neuen Ausstellung „Jenseits des Sichtbaren. Fotografische Erzählung als Spur“ im Museum für Photographie.
Curtis Anderson, No Smoking Gun #14, 2016, Gelatinesilberprint auf Baryt
Polke ist die älteste der dort vertretenen fünf Positionen und zugleich Vorbild und Bezugspunkt für die jüngeren Künstler. „Fotografische Erzählung als Spur“: Dieses Konzept von Fotografie verfolgt, anders als die dokumentarische Auffassung des Mediums, nicht das Festhalten eines besonderen Moments als nun historischen, den (vermeintlichen) Beweis des „So ist es gewesen“, sondern die Subjektivität der Wahrnehmung, die Spuren der Zeit oder des gestalterischen Eingriffs in das Bild beim Fotografieren, Entwickeln oder nachträglichen Bearbeiten der Abzüge, digital oder mit Malerei und Zeichnung. Oft werden dazu enge Ausschnitte, Vergrößerungen und Unschärfe als Mittel des Verfremdens gewählt, etwa bei Polke, Curtis Anderson und Louisa Clement. Die von Polke geprägte Clement (geb. 1987 in Bonn) zeigt mit dem Smartphone in Zügen aufgenommene Close-ups, die Bänke, Tische, Türen, Fenster zu einer Art Farbfeldmalerei abstrahieren – sehr ästhetisch bis fast schon geschmäcklerisch. Beeindruckend sind ihre Aufnahmen von Waffen, die deren Gefahrenpotential mit ihrer verführerisch schönen Oberfläche kontrastieren. Anderson (1956 geb. in den USA) hat in seiner Folge „no smoking gun“ (Übertragung ins Deutsche etwa „keine Beweisstücke“) die Spuren eines Brandes in seinem Haus festgehalten – Ruß, zersprungenes Glas, abgeplatzten Putz – und darin faszinierende graphische Strukturen sichtbar gemacht.
Owen Gump, aus der Serie Promontory,2007, Gelatinesilberprint © Owen Gump/ Courtesy Owen Gump und BQ, Berlin
Die feinen Landschaftsbilder von Owen Gump (geb. 1980 in Kalifornien), aufgenommen in Kalifornien und Utah, wirken unprätentiös und ganz klassisch-traditionell, stellen jedoch, ohne vordergründig kritisch zu sein, die subtilen Zeichen der landschaftlichen Veränderung vor. Anna Vogel (geb. 1981 in Herdecke), die ebenso wie Clement unter anderem bei Andreas Gursky studierte, überarbeitet ihre eigenen oder im Internet vorgefundene Fotografien oft digital oder auch materiell. Ihre Landschaften werden von mysteriösen Wolken beherrscht; sie stammen von Löschflugzeugen, die selbst nicht im Bild zu sehen sind, und wirken so umso bedrohlicher. Die Serien „New Cities“ und „Trilobiten“ (versteinerte Gliederfüßer aus dem Paläozoikum) sind mit einem zarten Netz von Tuschelinien überzogen. Eine interessante, vielfältige und schöne Ausstellung. (Bis 8.4.2018, Öffnungszeiten: Di-Fr 13-18 Uhr, Sa + So 11-18 Uhr)
Anna Vogel, Ignifer III, 2012, Pigment-Print/MDF, Privatsammlung/Courtesy Conrads, Düsseldorf, © Anna Vogel