Regine Nahrwold am 9. Mai 2018
Buchvorstellung „Narrenbäume“ von Wilhelm W. Reinke bei Graff
„Wer einen Baum pflanzt, wird den Himmel gewinnen“ soll Konfuzius einst gesagt haben. Wie wahr dieser Satz ist, zeigt das Buch „Narrenbäume“ von Wilhelm W. Reinke, das dieser am Donnerstag Abend in der Buchhandlung Graff vorstellte: 75 Bäume samt Himmel darüber hat der Braunschweiger Fotograf in fünf Jahren in aller Welt gewonnen: beeindruckende Schwarzweißaufnahmen von knorzigen deutschen Eichen und 2500 Jahre alten sardischen Oliven, italienischen Zypressen, spanischen Pinien, balinesischen Mangroven, kalifornischen Riesenmammutbäumen und madegassischen Baobabs, von denen die Legende besagt, Gott habe sie verkehrt herum in die Erde gesteckt. Ob kahl, belaubt oder in voller Blütenpracht – sie alle sind gewaltige, ja Ehrfurcht gebietende Lebewesen. „Narrenbäume“ hat Reinke sie genannt, nach einem Bild aus dem 15. Jahrhundert, wo die Narren von den Bäumen geschüttelt werden. Der Narr – sowohl der Törichte als auch der Hofnarr, der unbequeme Wahrheiten ausspricht – das ist natürlich der Mensch, der seit Jahrhunderten „den Ast absägt, auf dem er sitzt, um daraus einen Stuhl anzufertigen“. Und so hat Reinke ihn in seine Bilder einbezogen in Gestalt von Akten, die mit den Bäumen agieren. Das ist nicht immer ganz gelungen, vor allem dort nicht, wo sich schöne, junge Frauen in etwas gestellten, zu erotisch anmutenden Posen in die Natur drapieren. Anrührend ist es aber immer da, wo die Menschen in kreatürlicher Nacktheit verletzlich und Schutz suchend wirken, sich an einen Ast anschmiegen oder in einen hohlen Stamm hineinkauern. Und wenn sie in der umgebenden Natur klein und gering erscheinen wie in einem barocken Landschaftsgemälde des Holländers Jacob van Ruisdael, etwa auf dem Titelbild des Buches: Dort stehen Mann und Frau wie Adam und Eva winzig unter einem riesigen, uralten Drachenbaum auf Teneriffa, geborgen in einer kosmischen Natur, die wir seit langem gnadenlos zerstören.
Reinke sprach vor allem vom „Making of“ des Buches. Seine Fotoausrüstung bestand aus Polaroid, Handy, Kleinbild- und Mittelformatkamera, letztere – für die Hauptaufnahmen – erzeugt Bilder von 28 Millionen Pixeln. Fotografiert wurde – nach langer, intensiver Vorarbeit – mit dem Studioblitzgerät stets am frühen Morgen, denn er wollte Lichtflecken im Bild unbedingt vermeiden. Das hieß: in der Dämmerung blieben für die Aufnahme nur die fünf bis zehn Minuten kurz vor Sonnenaufgang. Das Scharfstellen im Dunkeln war dabei die größte Herausforderung. Seinen Vortrag würzte der Künstler mit zahlreichen Anekdoten von den Störfaktoren. Abgesehen von Kälte, Regen und Mücken waren das etwa andere Frühaufsteher, die verwundert fragten, ob hier ein Pornofilm gedreht wird, oder, auf Bali, Affen, die von den höchsten Wipfeln fröhlich ihren Kot fallen ließen. Bereits ausgewählte Bäume waren inzwischen gefällt oder plötzlich von Wasser umgeben. Modelle erkrankten oder plumpsten vom Baum herab mitten in die Brennnesseln. Zwischendurch rezitierte Reinke Baum-Gedichte von Goethe, Hebbel, von Arnim, Rilke, Fontane und Brecht. Das ergab eine Spanne vom Trivialsten bis hinauf zum Kunstschönen – sehr unterhaltsam. In diesem Jahr sind die „Narrenbäume“ in Leipzig und Berlin zu sehen. Auf die Ausstellung 2019 in der Prüsse-Stifung und im Schulgarten am Dowesee in Braunschweig können wir uns freuen!