Regine Nahrwold am 17. Mai 2018
Ausstellung „Credo. Lebensentwürfe“ von Klaus G. Kohn in der Brüdernkirche
Die robuste Frau in mit Stickern übersäter Jeansweste, mit Cap und blaugelbem Schal – der Eintracht-Fan. Die alten Damen in Dunkelblau, mit weißem Kragen und Häubchen, das Kreuz auf der Brust – die Diakonissen. Die Männer in schwarzer Lederkleidung, einander zärtlich zugewandt – zwei Schwule. Der Bärtige im blütenweißen Gewand, mit der Taqiyah auf dem Kopf – der Imam.
Das Mädchen mit schwarzer Lockenperücke im rosa Prinzessinenkleid – die Cosplayerin. Der junge Mann mit nacktem, von Muskeln nur so strotzendem Oberkörper – der Bodybuilder.
Diese sowie elf weitere Portraits sind in der Ausstellung „Credo. Lebensentwürfe“ des Braunschweiger Fotografen Klaus G. Kohn im Kreuzgang der Brüdernkirche zu sehen. Dunkel ist es hier, denn die auf einen besonderen, lichtdurchlässigen Stoff abgezogenen Farbaufnahmen sind in die verschlossenen Fenster des Kreuzgangs hineinmontiert. Von hinten angestrahlt, scheinen die großen (2,70 x 2 m), weit oben angebrachten Fotografien aus sich selbst heraus in großer Farbintensität zu leuchten, gewinnen eine starke Präsens. Mit ihrer Aura von Licht erinnern sie an die Glasfenster einer gotischen Kathedrale. Schon beim Betreten des Kreuzgangs ist man von dieser Präsentation sofort gebannt. Doch keine Heiligen haben hier Platz gefunden, sondern Menschen von heute, Individuen, die vor der Kamera posieren in einer Aufmachung, die sie als Ausdruck ihrer Identität, ihres Lebensentwurfs verstehen. Zugleich repräsentieren sie als Typen verschiedene Facetten unserer pluralistischen Gesellschaft, zumal Namen und weitere Informationen zu den Personen fehlen. Das Zeitgenössisch-Gegenwärtige ihrer Erscheinung bildet einen reizvollen Kontrast zur umgebenden mittelalterlichen, sakralen Architektur.
Der Künstler hat für die Aufnahmen bestimmte Parameter festgelegt: Format, schwarzer Hintergrund, Halbfigur in Frontale oder Dreiviertelansicht – das alles bleibt über die ganze Serie hinweg unverändert. In diesem strengen Rahmen aber entfaltet sich eine faszinierende lebendige Vielfalt an Gesichtern, Outfits und persönlichem Habitus – ein bewährtes Prinzip, das bereits in den 1920er Jahren in den Berufsbildern von August Sander oder später in Bildnissen von Richard Avedon zu finden und heute allgegenwärtig ist.
Doch wie steht es um den Titel der Ausstellung? Verkörpern all diese Menschen bzw. ihre Portraits wirklich ein Glaubensbekenntnis, wie es das Wort „Credo“ nahe legt? Den Diakonissen, dem Prior eines Klosters, dem Imam, auch den Freimaurern nimmt man ab, dass sie ihr Leben in den Dienst einer umfassenden, höheren Idee gestellt haben. Die Rocker, die Betreiberinnen eines Tattoo-Studios, der Punker und das Mitglied einer schlagenden Verbindung in vollem Wichs dagegen vertreten wohl eher eine sehr spezielle, extreme Vorliebe, eine Gruppenzugehörigkeit oder gar Ideologie als einen Lebensentwurf. Doch vielleicht ist ja gerade das ein typisches Phänomen unserer Gegenwart: dass – wie es der Veranstalter, die Landeskirche Braunschweig, im Folder zur Ausstellung formuliert – die in der Reformation gründende Freiheit des Einzelnen heute viele Gesichter hat, individuelle Biographien ermöglicht und von allen gleichermaßen Toleranz erfordert? (Bis 14. Juni, Kreuzgang der Brüdernkirche, Schützenstr. 22, Öffnungszeiten: Di-So, 13-19 Uhr)