Regine Nahrwold am 10. Juni 2018
Ausstellung „Glazed Rhythms“ im Kunstverein Wolfenbüttel
Ein Kristall funkelt aus nächtlichem Dunkel hervor, das Licht spielt gleißend auf seinen Zacken, die in alle Richtungen schießen. „Glazed Rhythms“, verglaste Rythmen – der Titel dieses Fotos, bildet auch die Überschrift über der Ausstellung seiner Schöpferin Johanna Daab im Kunstverein Wolfenbüttel. Ein Foto? Man zögert, die Arbeit so zu nennen, obwohl sie mit der Kamera entstanden ist. Denn das Abbilden der Realität, zumindest das Gegenüber eines realen Motivs, ist zwar nicht mehr ein unabdingbares, aber noch immer ein wesentliches Moment dieser künstlerischen Technik, die in Sachen Naturnachahmung seit ihrer Erfindung Anfang des 19. Jahrhunderts der Malerei den Rang ablief. Doch was hier aufgenommen wurde, ist nicht mehr erkennbar. Und es ist auch nicht mehr wichtig, so sehr wurden hier ein reales Objekt transformiert und schwebt nun im geheimnisvollen Zwischenreich zwischen Tag und Traum. Andere Bilder zeigen leuchtende, von einem Planetenreigen umkreiste Rauten, seltsame, tierisch anmutende Wesen, wolkig-blumige oder technoide Formen.
Johanna Daab (geb. 1978) arbeitet ausschließlich in Schwarzweiß mit einer analogen Kamera, entwickelt ihre Filme selbst und stellt die Abzüge im eigenen Fotolabor her. Aber was besagen da schon die nüchternen Begriffe „entwickeln“ und „abziehen“? Jeder Abzug ist das Ergebnis eines komplexen, langen und langsamen Prozesses und als solches ein unwiederholbares Unikat. Daab ist eine Alchimistin, die mit Licht, Film, Barytpapier und Chemikalien Verwandlung bewirkt. „Flash of appearence“ oder „rising star“ heißen zwei andere Aufnahmen. Lichtphänomene und die Weite des Weltalls klingen in diesen Titeln und den Bildern selbst an, auch Bewegung und Musik meint man zu vernehmen. Erinnerungen an experimentelle, surrealistische Bildwelten zu Anfang des 20. Jahrhunderts werden wach.
Die Fotoarbeiten in unterschiedlichsten Formaten sind auf türkisgrünen Wänden sehr sparsam gehängt, denn die Künstlerin wünscht sich, dass jede einzelne Raum für sich gewinnt und der Betrachter sie in Muße und Konzentration auf sich wirken lässt. So setzen ihre Aufnahmen auch Kontrapunkte gegen unsere beschleunigte Gegenwart und die heutige Überschwemmung mit digitalen Bildern.
Ihr Studium an der HBK Braunschweig hat Daab 2014 als Meisterschülerin von Dörte Eißfeldt abgeschlossen. Sie ist dieser Professorin dankbar, die ihren Studierenden alle Freiheit zur Entfaltung gelassen hat. Auch das hervorragend ausgestattete Fotolabor damals und die Fachleute, die mit Anregungen und Know how zur Seite standen, lobt sie sehr. „Wie toll das war, wurde mir erst richtig bewusst, als ich mein eigenes Labor eingerichtet habe.“ Längst ist sie selbst eine Meisterin ihres Fachs geworden und eine Künstlerin ganz im Sinne der Definition von Karl Kraus: „Nur der ist ein Künstler, der es versteht, aus seiner Lösung ein Rätsel zu machen.“