Regine Nahrwold am 10. Juni 2018
Konzert „The Sound of Museum“ im Herzog Anton Ulrich-Museum
„Kunst!!!“ Der Ausruf hallt im Treppenhaus und unter der Kuppel des ehrwürdigen Herzog Anton Ulrich-Museums wider. Kunst – was ist das eigentlich? Ein paar Antworten haben die Schauspieler Eike Onyambu, Hilal Cakir und Vanessa Ohlhoff gleich zu Anfang parat: eine Vermittlerin des Unaussprechlichen (Goethe), ziemlich nutzlos (O. Wilde), eine Erfahrung, nicht ein Objekt (R. Motherwell). Vor allem aber werden sie viele Fragen stellen bei „The Sound of Museum“, dem besonderen Konzert, das Regisseur Till Kleine-Möller und Dramaturgin Stefanie Fischer für das Junge Staatstheater Braunschweig ersonnen haben. Doch erst einmal geht es hinein in die Gemäldegalerie. Leise, ganz leise öffnet Eike die schwere Tür. Da erklingt im Hintergrund schon der erste Satz von Jean Sibelius‘ Streichquartett d moll, opus 56, „Voces intimae“ (innere Stimmen), großartig gespielt von Josef Ziga (1. Violine), Yun Ji Lee (2. Violine), Daniel Jerzewski (Viola) und Christian Bußmann (Violoncello). Mucksmäuschenstill und staunend wie Kinder, die an Heilig Abend das Weihnachtszimmer betreten, folgt das Publikum und lässt dabei die Blicke über die barocken Bilder schweifen. Und etwas Wunderbares geschieht: Unter dem übergreifenden Bogen der Musik, die der Komponist auf dem Weg von der Spätromantik zur Moderne 1908/09 während einer persönlichen Krise schuf, scheinen die Gemälde aus ihren Rahmen heraus- und in ein Miteinander einzutreten. Und zwischen Malerei und Musik entspinnt sich ein Zwiegespräch: deren melancholische Grundstimmung färbt auf die Bilder ab, während das Dramatische der dargestellten Geschichten die Streicherklänge erfasst. Das Ganze ist eben mehr als die Summe seiner Teile!
Weiter geht die Diskussion zwischen Eike, der viel weiß, Hilal, der Ergriffenen, und Vanessa, der Widerspenstigen: Ist das Handyfoto eines Gemäldes nun auch Kunst? Wäre es Kunst, wenn Palma Giovane vor 500 Jahren nicht gemalt, sondern fotografiert hätte? Ist die Leistung der Musiker Kunst, obwohl sie das Streichquarett „nur“ nachspielen? Sind die Begleittexte zu den Bildern hilfreich oder Manipulation? Und wo bleibt mein persönliches Gefühl? Fragen über Fragen… Die vier Streicher wiederholen den ersten Satz, nun verteilt auf verschiedene Räume. „Nein, so geht das nicht!“ protestiert der Bratschist hinterher, „das ist keine Kunst, keine Einheit! Wir müssen uns doch verständigen können!“ Nächstes Experiment: Jeder soll sich ein Bild wählen und dazu spielen, was er empfindet. Vivaldi, Bachs Partiten für Geige und Cello solo sowie ein Violinkonzert von Mozart wirbeln wild durcheinander. „Vielleicht können wir uns auch mal von der Musik zu Kunst inspirieren lassen?“ Die Gäste erhalten Bleistift und Papier und zeichnen zum zweiten Satz des Streichquartetts. Erstaunlich viele machen mit, die Musik hat sie wohl dafür geöffnet. Vor dem Vermeer erklingt abschließend der dritte Satz, der Sibelius‘ innere Zerrissenheit widerspiegelt, und dieses Mal wird nur gelauscht.
Der Trialog zwischen den drei jungen Darstellern mag älteren, in Sachen Kunst gebildeten Menschen etwas trivial und zu didaktisch vorkommen, aber ihre Fragen sind wohl die, die junge Leute heute stellen, und an diese richtet sich das neue Format in erster Linie. Möge das gelingen!