Regine Nahrwold am 21. Juni 2018
Ausstellung „Bitte (nicht) stören“ im Städtischen Museum
Ganz langsam schreitet die grazile junge Frau die Treppe hinab, gewandet in ein – ja, was? Ein Kleid? Eine Rüstung? Das eng anliegende Gewand, das sich aus hauchzarten Plättchen aus weiß glasiertem Porzellan zusammensetzt, schleift und scheppert; einige Plättchen der langen Schleppe zerschellen an den steinernen Stufen.
Die Performance der Chinesin Szu-Ying Hsu war ein Bestandteil der Eröffnung der Ausstellung „Bitte (nicht) stören“. Unter diesem Titel zeigen sechs Meisterschüler 2018 der HBK Braunschweig erstmals im Städtischen Museum ihre Arbeiten. Sie haben sich die Ausstellungsräume, aber auch die Sammlungen des Museums „vorgeknöpft“, intervenieren provokant mit ihrer Kunst. Und, um’s gleich vorwegzunehmen: Die kreativen Störfaktoren sind sehr gelungen, vor allem dort, wo sie auf die Exponate Bezug nehmen.
Das Gewand, die „Klanghaut“, ist für ein Kleid zu unpraktisch, für eine Rüstung zu zerbrechlich – ein schönes Paradox, wie es nur im Reich der Kunst anzutreffen ist. Als dauerhaftes Exponat hat die Schöpferin Szu-Ying Hsu die Fächer eines großen Regals mit den Porzellanplättchen ausgelegt.
Im Raum mit den Möbeln sind diese hinter provisorischen Verschlägen aus Dachlatten und transparenter Plastikfolie nurmehr schemenhaft zu ahnen; es sieht aus, als würde hier demnächst gestrichen. Über dieser witzigen Installation von Matej BosniÄ prangt der Satz „We don’t need you“ an den Fenstern: Die Objekte existieren auch ohne ohne Betrachter. Nico Pachali antwortet auf die Architektur mit eigenen Raumsystemen, Ensembles von Kuben und Platten aus Klebeband mit roten Schriftbildern darauf. „FIELD FRAGMENT“, „POSSIBILITIES TO FILL A FIELD“ und andere Wortkombinationen zum Thema Raum sind darauf zu lesen.
In der Gemäldegalerie konfrontiert Nils Peter Herzöge und Feldherren mit seinen markigen Männerportraits und schafft so ein ironisches Theater zum Thema Männerbild; in die ethnographische Sammlung hat er ein Selbstbildnis als Maske integriert.
Cora Wöllensteins Arbeiten haben im Treppenhaus Platz gefunden, Bilder von traumhaften Landschaften, mit Blumen, Figuren und tierischen Dämmerwesen, die sich einer klaren Zuschreibung entziehen und sich aus dem Korsett der Fabel befreien; vor einem Kanu und zwei Skulpturen von „Mohren“ nehmen sie sich wie eine Beschreibung des Paradieses aus.
Eine ebenso begabte Malerin wie Wöllenstein ist Rui Zhang, die in den 190er Jahren in China noch mit alten Traditionen, zugleich aber schon mit dem Einfluss des westlichen Kapitalismus aufwuchs. Ihrer inneren Zerrissenheit zwischen diesen beiden Polen gibt sie in Gemälden und anderen Arbeiten Ausdruck, etwa in einer tollen Video-Animation, in der Fernseher die Gesetze einer mechanisierten Welt durchzusetzen scheinen.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Museumsdirektor Peter Joch mit Studierenden unterschiedlicher Studiengänge der HBK. Besonders attraktiv für die Meisterschüler: Die Stiftung Braunschweigischer Kulturbesitz lobt mit einer Gesamtfördersumme von 12.000 Euro zusätzlich ein Arbeitsstipendium aus. Eine Fachjury ermittelt bis zu drei Preisträger aus der Ausstellung, die für ein Jahr projektbezogene Zuwendungen in Höhe von bis zu 6.000 Euro erhalten. Die Preisträger werden im Zuge des Sommerrundgangs der HBK bekannt gegeben. (Bis 22. Juli, Städtisches Museum, Am Löwenwall, Öffnungszeiten: Di-So und an Feiertagen, 10-17 Uhr)